271.  ©Alleingelassen

 

Sie saß einfach nur da, einfach so, ohne jegliche Regung, Stundenlang. Nur einmal stand sie auf, um sich ein Glas Wasser zu holen. Um damit auch nur ihre Finger zu benetzen. Ich weiß das so genau weil ich ihr schräg gegenüber wohne. Plattenbauten sind ein Segen. Man ist anonym und trotzdem nie allein. Gestern zum Beispiel habe ich die alte Oma Else beobachtet. Langsam setzte bei ihr Alzheimer ein. Um Punkt 9 Uhr setzte sie sich in ihren Fernsehsessel. Sie zappte zwischen den Gerichtsshows, Morning-shows und Talkshows hin und her. Kanal 1, Kanal 2, Kanal 3 bis zu Kanal 12.Und wieder von vorne. Seit ihr Mann gestorben war, hatte sie nicht wirklich Beschäftigung. Ihre Kinder kamen auch nur alle Schalt-jahre zu Besuch; und das nur um die Enkel abzuladen. Eigens für sie hatte einen Fitneßplan entwickelt aber wie sollte ich ihn ihr übergeben ohne als Voyeur, perverser Spanner dazu stehen? Oma Else also saß in ihrem Sessel und als ich wieder hinschaut bemerkte ich wie sich der Sessel hin und her wiegte. Wie eine Luftmatratze im Wasser. Ich schaut ein weiteres Mal genauer. Sie hatte wohl die Badewanne mit Wasser einlaufen lassen wollen, und es vergessen wie so oft. Jedenfalls war das Wasser in ihrem Wohn-zimmer auf Kniehöhe gestiegen. Und sie, ja sie schließ seelenruhig in ihrem Sessel. Ich alarmierte die Feuerwehr und den Hausmeister. In der Zeit ließ ich meinen Blick nicht von ihr los. In der Hoffnung ich würde sie dadurch aufwecken können. Am späten Nachmittag sprach sich im Haus rum, dass sie friedlich in den Tod geschlummert sei. Ihr Herz! Nun hatte ich Angst, dass das leicht pummelige Mädchen schräg gegenüber, sich vom Fenster stürzen würde. Sie sah so deprimiert aus; das konnte ich erkennen obwohl sie mit dem Rücken zu mir saß. Nur ab und an konnte ich sie im Halbprofil erhaschen. Vielleicht hatte ich was an meinem Blick, der fähig ist, Menschen ins Jenseits zu befördern. Sie saß immer noch da. Der Blick auf meine alte heißgeliebte Swatch Uhr, die ich damals von meiner Freundin geschenkt bekam, zeigt mir, dass sie drei Stunden auf dem Fenstersims ausharrte. Wieso tat sie das? Bisher war sie mir auch nicht aufgefallen. Rosa, so nenne ich sie mal, der klingt schön rund u. erinnert mich an die Wirtin unseres Lieblings-italieners, setzte sich wieder auf, sprang vom Fensterbrett und kam endlos lange nicht zurück. Zehn Minuten später saß sie wieder da; mit einem Hochglanz-Modemagazin in der Hand. Sie fing an die Köpfe der Models auszuschnippeln und liebevoll in tausend kleine Papierfetzen zu zerreißen. Sehr säuberlich, wie mir auffiel. Dann nahm sie einen Bogen Papier; in der Zwischenzeit griff ich zu meinem Fernglas, einem uralten Apparat, den mir mein Opa, ehemaliger Förster vermacht hatte. So kam das gute Stück mal wieder in seinem ursprünglichen Zweck zum Gebrauch. Normalerweise benutzte ich es immer nur, um die Ritzen in meinem mit Parkett versehenen Wohnzimmers auf mikroskopisch kleine Ungeziefer zu untersuchen. Seit ungefähr vier Jahren hatte ich nämlich eine Phobie entwickelt; die ging so weit, dass ich nicht mal in meinem Bett schlafen konnte, wegen all der kleinen Milben die dort auf meine Hautschüppchen lauerten. Allein bei dem Gedanken daran schüttelte es mich wieder. Wenn das mein Opa wusste. Der lebte quasi während seines Dienstes in den Wäldern des Schwarzwaldes tagtäglich mit Käfern, Spinnen und anderem Ungetier. Rosa hielt einen Bogenausdruck mit ihren Passfotos in der Hand. Sie schnitt äußerst penibel an den Konturen ihres Gesichts und der Haare bis es genau in die zuvor ausgehöhlten Löcher im Modemagazin passte. Da wurden die kopflosen Models, wirklich kopflosen Models, wie man aus Klatschblättern entnehmen konnte, durch ihr Konterfei ersetzt. Sie war wirklich hübsch anzusehen. Die Augen, vielleicht etwas zu tiefliegend, babyblau und eine Nase, die jeden anderen nicht angesprochen hätte. Aber ich liebte unkonventionelle Riechorgane. Im Halbschatten warf die Nase eine nach innen gebogene Sichelform an die Wand. Und erst ihr Mund; die Lippen kirschrot angemalt und immer ein wenig geschürzt; ganz so als ob die gleich anfangen würde zu weinen. Jedesmal wenn ich sie ansah, überkam es mich sie zu umarmen und fest zu drücken. Du bist nicht allein, Rosa. Sie massierte sich nach getaner Arbeit die Hand; die vom vielen Zuschneiden wohl ganz verkrampft sein musste. Ich konnte ein zufriedenes, wohliges Lächeln über ihr vom vielen Nachdenken blasses Gesicht erhaschen. Sie hüpfte vom Fenstersims und war auf lange Zeit verschwunden. Ich ging meiner Arbeit nach; holte das mit Kartoffeln gefüllte Netz aus der Küche, setzte den Topf neben mich ans Fenster und fing an sie zu schälen nicht ohne meinen Blick von ihrem Fenster abzuwenden. Eine halbe Ewigkeit später sah ich ihren runden Po. Sie hatte sich in die Hocke begeben. Was tat sie denn am Boden? Ich konnte nichts weiter er-kennen. Die Kartoffeln noch nicht mal zur Hälfte geschält, ging ich ins Bad um mir die Hände zu waschen und die Haare zu kämmen. Wenn ich auf Rosa treffen wollte, dann musste ich etwas hergeben. Schnell stürzte ich die Treppen hinunter; den Aufzug bediente ich erst gar nicht. Völlig außer Puste konnte ich nur noch den Ausblick ihres herrlichen Pos genießen. Sie hatte ein Päckchen in den vor der Haustür angebrachten Briefkasten geworfen. Mir juckte es in den Fingern; ich musste wissen, was es war. Viel-leicht konnte mir das Päckchen etwas mehr über meine Rosa erzählen. Ich fischte also etwas im gelben Kasten, meine Arme waren wohl zu breit, als dass sie richtig hineingreifen konnte. Was sollte ich nun tun? Der Nachbarsjunge beäugte mich argwöhnisch. Er muss eine ganze Zeit da gestanden haben; mir fiel er erst jetzt auf. Was machst du da? Tja was tat ich hier? Da kam mir der Gedanke. Magst du dir etwas Geld ver-dienen? Für einen neuen Fußball? Deiner scheint schon sehr abgenutzt zu sein! Der Kleine ließ sich dazu überreden, nach zu Fragen und ich Antworten, mein Päckchen, dass ich verseh-entlich ohne Marken eingeworfen habe, das eine Geburtstagsüberraschung für meine Oma werden sollte, wieder hinaus zu holen. Schwupps war sein Arm drinnen und Rosas Päckchen draußen. Ich gab ihm 20 Mark und der kleine Junge ging pfeifend in den nahe liegenden Laden um sich ein neues Spielzeug zu kaufen, mit dem er vor seinen Freunden angeben konnte. Ich hielt die sorgfältig mit braunem Packpapier eingewickelte rechteckige Sendung in den Händen und brannte nun darauf zu erfahren, was Rosa da verschicken wollte. Ich rannte alle 10 Stockwerke zu meiner Wohnung hinauf. Schlug die Haustür mit solch einer Wucht hinter mir zu, dass die mir von meiner Mutter vermachte Kristallfigurensammlung, bestehend aus Schwänen, Rehkitzen und Einhörnern, in ihrem Schränkchen erzitterten. Ich auch, ange-sichts der Freude Rosas Paket in den Händen zu halten. Ich war mir sicher, dass sie es eigentlich mir schicken wollte. Ja, sie wusste dass ich sie beobachtete und spielte mit mir. Mit einer Schere befreite ich Rosas Vermächtnis aus seinem braunem Versteck. Schauernde, wohlige Schauer liefen mir übern den Rücken; meine Finger zitterten und nestelten vielmehr am Papier. Ein Brief kam zu Vorschein; ich roch daran und sah Rosa vor mir. Wie sie frisch geduscht aus der Wanne stieg um sich mit diesem Brom-beerduft einzuhüllen. Den Brief wollte ich später lesen. Als nächstes lag mir ein Hochglanzmagazin in den Händen. Ich blätterte darin und fand Rosa. Rosa im Designer Brautkleid. Rosa in einem Hauch von Tüll und Seide. Rosa in einem sportlich knappen Dress. Rosa in einem Bikini. Rosa, Rosa, Rosa. Das war es also woran sie die ganze Zeit gearbeitet hatte. Verwirrt und aufgeregt öffnete ich den Umschlag in dem sich der wohlduftende Brief befand. Beim Öffnen fielen mir lauter kleine Glitzersterne und Herzen auf den Schoß; während ich mit einer Hand den Bogen Papier auseinander faltete, hielt ich mich mit der anderen an der Tischkante fest. Das war zu viel für mein Herz, es rebellierte, es pochte wie verrückt. Ich las, Zeile für Zeile und konnte es nicht glauben. Fiebernd suchte ich im Mülleimer nach dem Packpapier um den Empfänger dann zu lesen. Postfach 969 Rosas Handschrift war zart u. leicht. Schwebend muss sie diese Zeilen geschrieben haben. Mein Liebster, du hattest dich immer gefragt wie ich aussehe. Ich schicke dir nun das versprochene Magazin von dem berühmten Designer und Fotograf, dessen Muse ich bin. Ich hoffe die Bilder gefallen dir und du magst mich genauso gerne wie im Chat. Ich konnte es nicht glauben. Sie hatte sich so viel Mühe gemacht um einen Chatfreund zu beeindrucken u. von sich zu überzeugen? Ich wurde nachdenklich u. bekümmert. In dem Moment meldete der Computer: Nachricht für sie von Model 969.

 

 

 

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271.  ©Left alone

 

She just sat there, simply that way, ithout any emotion, for hours. Only once did she get up to get a glass of water. Just to get your fingers wet with it. I know that so well because I live diagonally across from her. Prefabricated buildings are a blessing. You are anonymous and yet never alone. Yesterday, for example, I observed old grandma Else. Alzheimer's slowly set in on her. At 9 o'clock sharp she sat down in her armchair. She flipped between court shows, morning shows, and talk shows. Channel 1, channel 2, channel 3 up to channel 12. And start again. She hasn't really had a job since her husband died. Her children only came to visit every leap year; and just to unload the grandkids. I had developed a fitness plan especially for her, but how should I hand it over to her without being a voyeur, a perverted peeper? Grandma Else was sitting in her chair and when I looked again I noticed how the chair was rocking back and forth. Like an air mattress in the water. I take another closer look. She must have wanted to fill the bathtub with water and, as so often, forgot. In any case, the water in her living room had risen to knee height. And she, yes she closes calmly in her chair. I alerted the fire brigade and the caretaker. During that time I didn't take my eyes off her. Hoping that would wake her up. In the late afternoon, word got around in the house that she had slept peacefully to her death. Your heart! Now I was afraid that the slightly chubby girl across the street would throw herself out of the window. She looked so depressed; I could tell that even though she was sitting with her back to me. Only occasionally could I catch a glimpse of her in half profile. Maybe I had something in my eyes that are capable of transporting people to the afterlife. She was still sitting there. A look at my old, beloved Swatch watch, which my girlfriend gave me as a gift, shows me that it stayed on the window sill for three hours. Why did she do that? I hadn't even noticed her until now. Rosa, that's what I call her, sounds nice and round and reminds me of the landlady of our favorite Italian restaurant, sat up again, jumped off the window sill and didn't come back for a long time. Ten minutes later she sat there again; with a glossy fashion magazine in hand. She began to snip out the heads of the models and lovingly tear them into thousands of little pieces of paper. Very neat, I noticed. Then she took a sheet of paper; In the meantime I grabbed my binoculars, an ancient device that my grandfather, a former forester, had bequeathed to me. So the good piece was used again for its original purpose. I usually only used it to check the cracks in my hardwood floor living room for microscopic bugs. For about four years I had developed a phobia; she went so far that I couldn't even sleep in my bed because of all the little mites lurking there on my dander. Just thinking about it made me shake again. If only my grandpa knew that. During his service in the forests of the Black Forest, he lived with beetles, spiders and other creatures every day. Rosa was holding a sheet of paper with her passport photos on it. She meticulously trimmed the contours of her face and hair until it fitted snugly into the previously hollowed out holes in the fashion magazine. Then the headless models, really headless models, as one could gather from the gossip sheets, were replaced by her likeness. She was really pretty to look at. The eyes, maybe a little too deep-set, baby blue, and a nose that wouldn't have appealed to anyone else. But I loved such unconventional olfactory organs. In the penumbra, the nose cast an inward crescent shape against the wall. And only her mouth; lips painted cherry red and always slightly pursed; almost as if she was about to start crying. Every time I looked at her, I felt like hugging her and hugging her tightly. You're not alone, Rosa. After work she massaged her hand; which must have been cramped from all the cutting. I could catch a satisfied, comforting smile on her face, pale from so much thinking. She jumped off the windowsill and was gone for a long time. I went about my work; fetched the net filled with potatoes from the kitchen, put the pot next to me by the window and began peeling them not without taking my eyes off her window. Half an eternity later I saw her round bottom. She had crouched down. What was she doing on the ground? I couldn't see anything else. With the potatoes not even half peeled, I went to the bathroom to wash my hands and comb my hair. If I wanted to meet Rosa, then I had to give something up. I fell down the stairs quickly; I didn't even use the elevator. Completely out of breath, I could only enjoy the view of her beautiful buttocks. She had put a package in the mailbox on the front door. My fingers itched; I had to know what it was. Perhaps the package could tell me a little more about my Rosa. So I fished something in the yellow box, my arms were probably too wide for her to reach in properly. What should I do now? The boy next door eyed me suspiciously. He must have stood there for quite some time; I only noticed him now. What are you doing there? Well what am I doing here? Then the thought occurred to me. Do you want to earn some money? For a new football? Yours seems to be very worn out! The little one allowed himself to be persuaded to ask and I answered to take out my package, which I had accidentally thrown in without stamps and which was supposed to be a birthday surprise for my grandma. Schwupps his arm was inside and Rosa's package outside. I gave him 20 marks and the little boy went whistling to the nearby store to buy a new toy to show off to his friends. I held the rectangular parcel, carefully wrapped in brown paper, in my hands and was dying to find out what Rosa was sending. I ran up all 10 floors to my apartment. The front door slammed behind me with such force that the crystal figurine collection that my mother had left me, consisting of swans, fawns and unicorns, shook in its cupboard. Me too, given the joy of holding Rosa's package in my hands. I was sure that she actually wanted to send it to me. Yes, she knew I was watching her and toying with me. With a pair of scissors I freed Rosa's legacy from its brown hiding place. Shivering, comforting shivers ran down my back; rather, my fingers trembled and fiddled with the paper. A letter emerged; I smelled it and saw pink in front of me. As she climbed out of the tub, freshly showered, to wrap herself in that blackberry scent. I wanted to read the letter later. The next thing I had in my hands was a glossy magazine. I leafed through it and found Rosa. Pink in the designer wedding dress. Pink in touches of tulle and silk. Pink in a sporty, tight dress. Pink in a bikini. Pink, pink, pink. So that was what she had been working on all along. Confused and excited, I opened the envelope that contained the fragrant letter. When I opened it, lots of little glittering stars and hearts fell onto my lap; I unfolded the sheet of paper with one hand and held onto the edge of the table with the other. This was too much for my heart. it rebelled. it was pounding like crazy. I read line by line and couldn't believe it. Feverishly I looked in the trash can for the wrapping paper to read the recipient. PO Box 969- Rosa's handwriting was delicate and light. She must have written these lines floating. My love, you always wondered what I look like. I am now sending you the promised magazine from the famous designer and photographer whose muse I am. I hope you like the pics and you like me as much as you did in the chat... I couldn't believe it. She went to so much trouble to impress and convince a chat friend? I became thoughtful and worried. At that moment the computer reported: Message for you from Model 969.