266.   ©Der Entschluss

 

Ich weiß nicht mehr, wann ich zum letzten Mal richtig glücklich gewesen bin. Das muss wohl an meinem 12. Ge-burtstag gewesen sein, als ich zusammen mit meinen Freunden auf dem kleinen Friedhof unseres Dorfes gespielt habe. Natürlich gab es viele andere Plätze und Möglichkeiten zu spielen, das Spiel mit dem Tod aber, das faszinierte uns auf eine Art die man heute als Besessenheit und als krankhaft bezeichnen würde. Die Begegnung mit dem Tod, die als ein lustiges, kleines und unschuldiges Spiel begann, wurde fortan ein Teil meines Lebens und hindert mich bis heute, meinen inneren Frieden zu finden. Und obwohl diese Augenblicke schon über 20 Jahre zurückliegen, sind sie mir in diesem Moment näher als jemals zuvor. Einzelne Bilder und Gespräche sehe ich jetzt derart klar, dass man meinen könnte, sie sind erst vor ein paar Minuten passiert, dass man davon ausgehen könnte, die Darsteller würden sofort auftauchen, um das Spiel fortzusetzen. Ich sehe die einfachen Gräber mit ihren alten, gebrechlichen Holzkreuzen, die Hauptallee mit den großen und pompösen Ruhestätten der Reichen, die alten Frauen, die auf den Bänken sitzen, um sich den letzten Tratsch zu erzählen, den großen Brunnen am Straßenrand, dessen Wasser schon lange nicht mehr trinkbar ist, die Hügel hinter dem Friedhof, die einst mit einem dünnen Wald bedeckt waren, den schmalen Weg, der von unserem Dorf ins nächste führte, den Berg in der Ferne, der im Abendlicht wie ein Gespenst aussieht. Doch am klarsten sehe ich Martin, Alex und mich, wie wir eine Beerdigung inszenieren und unseren Spaß mit dem Tragen des Sarges und mit der Nachahmung von Pfarrer Stefan haben. "Der Herr sei mit Euch" höre ich Martin sagen, während Alex in Tränen aufgelöst die untröstliche Witwe, die nun auf sich alleine gestellt ist, spielt. Meine Aufgabe bestand darin, für die richtige Musik zu sorgen, um der ganzen Zeremonie den richtigen traurigen Ton zu verleihen. Um dies zu tun quälte ich meine alte Mundharmonika und spielte die traurigsten Lieder, die ich kannte. Es machte uns unglaublich viel Spaß in verschiedene Rollen zu schlüpfen, ob es nun der Pfarrer, die Witwe oder der Musikant war, wir spielten sie dermaßen überzeugend, das ein Fremder sie für echt hätte halten können. Den größten Spaß hatten wir aber dadurch, die verdutzten und schockierten Gesichter unserer Nachbarn zu sehen. "Gott beschütze euch Kinder", sagte Tante Nela, eine alte Nachbarin, hört auf mit diesem Spiel, das kann ja Unglück bringen, Gott bewahre uns davon. Damals machte uns diese Warnung gar nichts aus, ganz im Gegenteil, wir wurden dadurch bestätigt, dass unser kleines Spiel ziemlich echt aussah, und waren unglaublich stolz darauf. Heute aber, wenn ich so zurückblicke, wird mir bewusst wie viel Wahrheit in ihren Wörtern gesteckt hatte. Es ist kalt geworden, der Wind verstärkt sich und durchbohrt mich wie ein Kaltwasserstrahl und obwohl ich zu zittern beginne und es mich bis in meinem tiefsten Inneren friert, kann ich mich nicht bewegen. Ich bin nicht imstande, die geringste Bewegung zu machen, mein Körper ist wie gelähmt, es ist als wäre ich hier an Ort und Stelle festgenagelt worden, als wäre ich zu Unbeweglich-keit verdammt worden. Und plötzlich ist die Unruhe wieder da und mit ihr ein Gedanke, eine Frage die mich anfangs nur streift, dann aber immer näher kommt und letztendlich mein ganzes Ich umfasst: "Was mache ich hier eigentlich?" Vor mir liegt die tiefe Schlucht, die ich aus meiner Kindheit so gut kenne, die für mich seither ein Bild der Angst und des Schreckens darstellt, nicht zuletzt durch die Erzählungen meiner Mutter, die mich fast täglich davor warnte, ihr zu nahe zu kommen. Ganze Familien seien Dort umgekommen, sagte meine Mutter, ganz zu schweigen vom armen Vieh und den unzähligen Menschen die dort hinuntergestürzt sind oder aus lauter Ver-zweiflung ihre Erlösung gesucht haben. Nun stehe ich an diesem Ort des Todes und es ist mir als könnte ich die Verzweiflung und die Zuversicht, die Trauer und die Freude, den Mut und die Feigheit der Menschen verstehen, die hier den Todesschritt gewagt haben. Ich glaube zu wissen, was diese Menschen alles durchgemacht haben, wie viel Leid und Kummer sie ertragen mussten, wie sehr sie leben wollten, wie sehr sie lieben wollten, wie sehr sie sterben wollten....und sterben, das will ich jetzt auch. Mein Wunsch steht nun endgültig fest und zwar in einer solchen Klarheit wie noch niemals zuvor. Die lange Zeit des Wartens und der Hoffnung scheint vorbei zu sein. Ich will sterben um das zu vergessen, was ich getan habe und was mir angetan wurde, um die Angst, die mich nun schon seit

Jahren fesselt loszuwerden, um die so lang ersehnte Ruhe zu finden. Doch vorher muss ich noch etwas erledigen. 

 

 

 

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266.  ©The Resolution

 

I can't remember the last time I was really happy. That must have been on my 12th birthday, when I was playing with my friends in the little cemetery in our village. Of course there were many other places and opportunities to play, but playing with death fascinated us in a way that today would be considered obsessive and morbid. The encounter with death, which began as a fun, small and innocent game, became a part of my life from then on and to this day prevents me from finding my inner peace. And even though those moments were more than 20 years ago, they are closer to me now than ever before. I now see individual images and conversations so clearly that you could think they happened just a few minutes ago, that you could assume the actors would show up immediately to continue the game. I see the simple graves with their old, fragile wooden crosses, the main avenue with the large and pompous resting places of the rich, the old women sitting on the benches to tell each other the latest gossip, the large fountain at the roadside, whose water is long undrinkable, the hills behind the cemetery that were once covered with a thin forest, the narrow path that led from our village to the next, the mountain in the distance that looks like a ghost in the evening light. But what I see most clearly is Martin, Alex and I staging a funeral and having fun carrying the coffin and imitating Father Stefan. "Lord be with you," I hear Martin say, while Alex tears through tears as the heartbroken widow, now left to her own devices. My job was to provide the right music to give the whole ceremony the right sad tone. To do this I would torture my old harmonica and play the saddest songs I knew. We had so much fun slipping into different roles, whether it was the priest, the widow or the musician, we played them so convincingly that a stranger could have mistaken them for real. But the most fun we had was seeing the baffled and shocked faces of our neighbors. "God protect you children," said Aunt Nela, an old neighbor, stop playing this game, it can bring bad luck, God save us from that. We didn't mind that warning at the time, quite the opposite, we were reassured by the fact that our little game looked pretty real and were incredibly proud of it. But now, looking back, I realize how much truth there was in her words. It's gone cold, the wind is picking up and piercing me like a jet of cold water, and although I'm beginning to shiver and freeze to my core, I can't move. I'm unable to move at all, my body is paralyzed, it's like I've been pinned here in place, condemned to immobility. And suddenly the restlessness is back and with it a thought, a question that only touches me at first, but then comes closer and finally encompasses my whole self: "What am I actually doing here?" In front of me lies the deep gorge that I know so well from my childhood, which has been a picture of fear and terror for me ever since, not least because of what my mother told me, who warned me almost daily not to get too close to it. Whole families perished there, my mother said, not to mention the poor cattle and the countless people who fell down there or who, out of sheer desperation, sought their salvation. Now I'm standing at this place of death and it seems to me that I can understand the desperation and the confidence, the sadness and the joy, the courage and the cowardice of the people who have dared to take the death step here. I think I know what these people went through, how much pain and heartache they had to endure, how much they wanted to live, how much they wanted to love, how much they wanted to die ... and I want to die now too . My wish is now finally certain and in such clarity as never before. The long wait and hope seems to be over. I want to die to forget what I did and what was done to me, to the fear I've had since Years to get rid of shackles to find the long awaited rest. But first I have to do something.