246.   ©Patsy und das Dixi-Klo

 

Iren sind ein besonderer Menschenschlag. Vielleicht hängt das mit ihrer Abstammung von den Kelten zusammen. Auf den früheren Großseglern sollen sie die schlimmsten Schläger gewesen sein. Doch die meisten sind heute recht nett. Manche versuchen sich als Alleinunternehmer, wie es in Europa üblich wird. Aber nur ein Dixi-Klo auf dem Campingplatz ist wirklich etwas wenig, und vielleicht sollte der Klempner in der Kneipe nicht gerade dann alles durcheinander bringen, wenn Mailand gegen Turin im Fernsehen läuft. Vor der Fahrt nach Irland hatte ich beim Eintausch englischer Pfundnoten, die Kassiererin meiner Bank verwirrt. Nicht etwa durch mein smartes Äußeres oder durch eine Einladung ins Irish-Pub Fritzpatricks, warum eigentlich nicht?, sondern durch meinen Wunsch nach zusätzlichen irischen Pfunden. Sie merkte es eher als ich, denn Irland hat schon längst den Eurokurs eingeschlagen. Das erleichtert uns das Leben, denn die Zeiten, als man im Kopf blitzschnell Pfunde, Gallonen, Libs, Fuß und Meilen umrechnen musste, sind so gut wie vorbei. Übrig geblieben sind in einigen Gebieten noch Meilenangaben, die man bei Geschwindigkeitsbegrenzungen allzu gern akzeptiert, weil man dann meint, schneller fahren zu dürfen. Wir aßen im Ship’s Inn, in Killybegs/Donegal zu Abend. Das Lokal wirkte durch seine niedrige Decke und die dezente Beleuchtung sehr gemütlich; das freundliche Inhaberpaar bediente persönlich, nicht ohne sich kurz nach unserem Woher und Wohin zu erkundigen; Schiffsmodelle und ein Sägefisch waren in Glasvitrinen ausgestellt, ein Steuerrad und ein Maschinentelegraf signalisierten in einer Ecke weiteres maritimes Flair. Wir bekamen deshalb auch seafood, Ilse Goldbrasse, ich Red Snapper. Nach Aussagen der Speisekarte sollten die Garnierungen beider Gerichte Spuren vom Lobster enthalten haben. Wir fanden sie nicht, aber vielleicht hatten wir zu wenig Ahnung. Vielleicht ist unser Wissen von maritimen Dingen, insbesondere vom Fischfang, wirklich zu dürftig. Viele essen ahnungslos Victoria-Barsch und ahnen nicht, dass er wirklich vom Victoriasee, dem größten Süßwassersee Afrikas im Dreieck zwischen Sambia, Namibia und Simbabwe, per Flugzeug nach Europa geschafft wird. Stutzig machte uns am lebend-igen, übersichtlichen Hafen von Killybegs, wo die roten Fischkutter Colmcille, Ave Maria oder SO 591 hießen, ein portugiesischer Sattelschlepper, von dem Fischkisten auf ein irisches Boot mit spanisch sprechender Besatzung umgeladen wurden. Wir fanden den Weg, den der Fisch nahm, nämlich vom Auto auf das Schiff und nicht umgekehrt, seltsam. Die mit der Arbeit beschäftigen vierschrötigen Kerle sahen nicht so aus, als seien sie an dummen Fragen irgend welcher Touristen interessiert. Ein Jahr später las ich in der Zeitung, dass die Polizei auf einem Auto-bahn-parkplatz an der A5 bei Darmstadt die Leiche eines russischen Fernfahrers in einem portugiesischen Lastwagen entdeckt hatte. Wie bei solchen Kurzmitteilungen üblich, erfährt der neugierige Leser den Rest der Geschichte nie. Vielleicht hatte der Fahrer sich auf dem Weg nach Killybegs befunden! Patsy erwischte uns am anderen Morgen, als wir an der dafür aufgestellten blauen Tonne mit kaltem Wasser aus dem Schlauch hantierten. Das erste Mal hatte er uns bereits am Vortag abgefangen. Nach etlichen Übernachtungen hier in unserem nur notdürftige eingerichteten Renault Transporter auf freier Wildbahn freuten wir uns, als wir die Hafenstadt Killybegs, die außer vom Fischfang von der Teppich und Stoffherstellung lebt, erreicht hatten, auf die Annehmlichkeiten eines Campingplatzes. Auf unserer Karte war ein solches Zeichen angegeben, aber ähnlich wie es Kolumbus mit seinen Unterlagen geschah, erging es uns, allerdings mit weit harmloseren Auswirkungen. Den Campingplatz, außerhalb der Stadt, direkt an der Küste gelegen, gab es nicht mehr. Stattdessen erhob sich dort eine noble Ferienhaussiedlung mit einem edlen Hotel, die wohl ein wenig mehr Geld abwerfen sollte. Zur Zeit sah es zwar nicht danach aus, die Siedlung lag leer und öde im zaghaften Sonnenschein, und auch das Hotel schien nicht gerade überlaufen zu sein, obwohl die Aussicht von dort über Fintragh und Donegal Bay uns sehr beeindruckte. Aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben, die Vertreter unseres Wirtschaftssystems, die Börsianer und Investoren und ihre Nachbeter, die Politiker, haben für unsere Ökonomie eine Theorie entworfen, die sie Wissenschaft nennen, obwohl es sich eher um eine Religion zu handeln scheint, was naturgemäß viel mit Glauben zu tun hat. Immerhin haben sich die Wohnverhältnisse in Irland gebessert, die meisten Häuser sind zwar einfacher Bauart, besitzen aber festes, verputztes Mauerwerk und ein regendichtes Schieferdach. Das war 1977, bei unserem ersten Aufenthalt, noch nicht so. Leider werden Bauge-nehmigungen auch an einsamen Küstenstellen erteilt, die besser frei bleiben sollten. Selbst in Donegal gibt es die berühmten niedrigen Katen mit ihren Binsendächern fast nur noch für Touristen in musealen Ansammlungen, wie wir! in Glencolumbkille sehen würden. Doch sind mit der Zeit die Preise für Häuser und Wohnungen derart stark gestiegen, dass viele Menschen die Kosten oder Mieten nicht mehr bezahlen können. In Dublin gibt es inzwischen eine Menge Menschen, die Arbeit haben, aber trotzdem obdachlos sind. Eigentumswohnungen haben innerhalb von zehn Jahren ihren Preis ver-doppelt. Die Zahl der Autos hat rasant zugenommen, die entsprechenden ökologischen Folgen blieben ebenso wie bei der Industrie nicht aus. Auch Patsy schien an die Versprechungen der Wirtschafts-wissenschaftler und ihrer politischen Assistenten zu glauben. Er hatte oberhalb der Stadt, an einer Stelle mit wun-derbarer Aussicht auf den langen Zeigefinger der Halbinsel, die mit St. John’s Point endet, und darüber hinaus auf die gesamte Donegal Bay, ein Gelände gepachtet, das vielleicht irgendwann einmal er arbeite daran, sagte er)ein Campingplatz werden sollte. Wir fanden den Platz eher zufällig. Uns empfing eine leere Schotterfläche, die mit einem Holzgeländer umfriedet war. Ein Holztisch mit vier weißen Stühlen lud auf einer kleinen Anhöhe zum Outdoor-Frühstück ein. Besagte Tonne mit Schlauch für Kaltwasser diente als Washroom, vervollständigt wurden die sanitären Anlagen durch ein Dixi-Klo, wie sie auf Baustellen verwendet werden. Zum ersten Mal benutzten wir so etwas und mussten zugeben, dass es einwandfrei funktionierte. Vor dem Platz stand ein ausrangierter Wohn-wagen, den wir als Büro identifizierten. Ein angeklebter, handbeschriebener Zettel verkündete Welcome!, eine Telefonnummer und den Hinweis: Please call Patsy! Niemand war zu sehen, der uns sein Handy hätte zur Ver-fügung stellen können. So kehrten wir um, fuhren in die Stadt zum Essen und versuchten vorher, eine Telefonzelle aufzutreiben, um der freundlichen Aufforderung zu folgen, jemanden, den wir nicht kannten, der sich uns aber mit dem Vornamen vorstellte, zu kontaktieren. Wir haben trotz eifriger Suche keine Einrichtung dieser Kommu-nikationsmöglichkeit in Killybegs gefunden! Waren wir nach Überwindung der Nord-West-Passage doch noch nicht so richtig in der Zivilisation angekommen? Oder hatten die Iren in Killybegs, schnell u. viele andere übertrumpfend, bereits völlig auf Handys, die im englischen Sprachraum mobile phones heißen, umgestellt? Kaum waren wir zurückgekehrt und richteten uns auf dem Schotterplatz für die Nacht ein, denn Ilse wollte am nächsten Tag von dort oben aus ein Aquarell der Bucht malen, tauchte Patsy das erste Mal wie aus dem Nichts auf. Ein gedrungener, kräftig gebauter, schwarzhaariger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren mit sehr lebhaften Augen. Überschwänglich

begrüßte er uns, hieß uns willkommen, und stellte mit weit ausholender Geste, die ganz Irland zu umfassen schien, seinen Platz zur Verfügung. Darüber, dass wir hier einfach standen, ohne angerufen zu haben call Patsy!, verlor er kein Wort. Leider sei er mit seinem Platz noch nicht ganz so weit, im nächsten Jahr wolle er eine Beleuchtung und richtige sanitäre Anlagen mit einer Dusche einrichten, dafür müsse er in diesem Jahr erst einmal das Geld verdien-en. Und eine Übernachtung koste nur zehn Euro. Als ich das Portemonnaie zückte, winkte er ab. Tomorrow! Viel-leicht blieben wir ja länger, das würde ihn sehr freuen. Dann wünschte er uns eine gute Nacht. Leider trieb uns der aufkommende Wind ins Auto, sodass wir Patsys Gartenmöbel nebst Panoramablick nicht allzu lange draußen genießen konnten. Gerade als ich am nächsten Morgen das Dixi-Klo verließ, kam Patsy wie zufällig um die Ecke. Ich hatte vorher einen Blick in den Büro-Wohnwagen geworfen, ihn aber leer gefunden. Die Begrüßung erfolgte ebenso lebhaft wie am Tag zuvor, doch musste ich die drängende Frage beantworten, wie lange wir denn nun bleiben wollten. Es fiel uns schwer, einen solch freundlichen Unternehmer zu enttäuschen, doch wir hatten be-schlossen, uns für den Aufenthalt in dieser Gegend einen komfortableren Standplatz zu suchen, was uns in Kilcar auf einer kleinen Farm mit Familienanschluss gelang. So bezahlten wir und wünschten Patsy weiterhin viel Erfolg und mehr Gäste, bestätigten die überragende Aussicht und versprachen, im nächsten Jahr, wenn die Duschen eingerichtet seien, wieder zu kommen. Call Patsy!

 

 

 

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246.  ©Patsy and the Dixi-loo

 

Irish people are a special breed. Perhaps this has something to do with their ancestry from the Celts. On the earlier tall ships they are said to have been the worst thugs. But most are quite nice these days. Some try to be sole proprietors, as is common in Europe. But just one dixi toilet on the campsite is really a bit small, and maybe the plumber in the pub shouldn't mess things up when Milan vs. Torino is on TV. Before the trip to Ireland, I confused the cashier at my bank when exchanging English pound notes. Not because of my smart appearance or because of an invitation to the Irish pub Fritzpatricks, why not?, but because of my desire for extra Irish pounds. She noticed it before I did, because Ireland has long since switched to the euro. This makes life easier for us, because the days when you had to convert pounds, gallons, libs, feet and miles in your head in a flash are all but gone. In some areas, there are still indications of miles, which people are only too happy to accept when it comes to speed limits, because then you think you can drive faster. We had dinner at the Ship's Inn, in Killybegs/Donegal. The restaurant seemed very cozy with its low ceiling and subtle lighting; the friendly owner couple served personally, not without asking where we were from and where we were going; Ship models and a sawfish were exhibited in glass showcases, a steering wheel and a machine telegraph signaled further maritime flair in a corner. So we also got seafood, Ilse sea bream, I red snapper. According to the menu, the toppings of both dishes should have contained traces of lobster. We didn't find them, but maybe we didn't know enough. Maybe our knowledge of maritime things, especially fishing, is really too poor. Many unsuspectingly eat Victoria perch and have no idea that it is actually brought to Europe by plane from Lake Victoria, the largest freshwater lake in Africa in the triangle between Zambia, Namibia and Zimbabwe. We were taken aback at the lively, well-arranged harbor of Killybegs, where the red fishing boats were called Colmcille, Ave Maria or SO 591, a Portuguese articulated lorry from which fish crates were loaded onto an Irish boat with a Spanish-speaking crew. We found the route the fish took, from the car to the ship and not the other way around, strange. The burly fellows busy with the work didn't look as if they were interested in any stupid questions of any tourists. A year later I read in the newspaper that the police had discovered the body of a Russian long-distance driver in a Portuguese truck in a parking lot on the A5 near Darmstadt. As is usual with such short messages, the curious reader never gets to know the rest of the story. Perhaps the driver had been on his way to Killybegs! Patsy caught us the next morning when we were handling the blue barrel with cold water from the hose. The first time he had intercepted us the day before. After several nights here in our poorly equipped Renault van in the wild, we were looking forward to the amenities of a campsite when we reached the port town of Killybegs, which lives off fishing and carpet and fabric production. Our chart showed such a sign, but much like what happened to Columbus with his records, so did we, albeit with far more benign consequences. The campsite outside of town, right on the coast, no longer existed. Instead, a classy holiday home complex with a classy hotel arose there, which was supposed to bring in a little more money. It didn't look like it at the time, the settlement was empty and desolate in the faint sunshine, and the hotel didn't seem overcrowded either, although we were very impressed by the view over Fintragh and Donegal Bay from there. But one should not give up hope, the representatives of our economic system, the stockbrokers and investors and their followers, the politicians, have designed a theory for our economy that they call science, although it is more of a theory Religion seems to act, which naturally has a lot to do with faith. At least the living conditions in Ireland have improved, most houses are of simple construction, but have solid, plastered masonry and a rainproof slate roof. That was not the case in 1977, during our first stay. Unfortunately, building permits are also issued on lonely coastal areas that should better remain free. Even in Donegal, the famous low cottages with their rush roofs are almost exclusively for tourists in museum collections, like us! would see in Glencolumbkille. But over time, the prices for houses and apartments have risen so much that many people can no longer pay the costs or rent. There are now a lot of people in Dublin who have jobs but are still homeless. Condominiums have doubled in price within ten years. The number of cars has increased rapidly, and the corresponding ecological consequences have not been avoided, just like in industry. Patsy too seemed to believe in the promises made by economists and their political assistants. He had leased land above the town, in a spot with a wonderful view of the long finger of the peninsula ending at St. John's Point and beyond that of the whole of Donegal Bay, which perhaps someday he would work on he said) should become a campsite. We found the place rather by accident. We were greeted by an empty gravel area surrounded by a wooden railing. A wooden table with four white chairs invited to an outdoor breakfast on a small hill. Said barrel with a hose for cold water served as a washroom, and the sanitary facilities were completed by a dixi toilet, like those used on construction sites. First time using something like this and had to admit it worked perfectly. In front of the square was a discarded mobile home that we identified as an office. A handwritten note stuck on it announced Welcome!, a telephone number and the note: Please call Patsy! There was no one to be seen who could have given us their mobile phone. So we turned around, drove into town to eat and first tried to find a phone booth to follow the friendly request to contact someone we didn't know but who introduced himself by his first name. Despite a keen search, we have not found any facility for this means of communication in Killybegs! Hadn't we really arrived in civilization after crossing the North-West Passage? Or had the Irish in Killybegs, quickly and surpassing many others, already completely converted to cell phones, which are called mobile phones in the English-speaking world? As soon as we got back and settled down on the gravel lot for the night, because Ilse wanted to paint a watercolor of the bay from up there the next day, Patsy appeared for the first time out of nowhere. A squat, heavily built, black-haired man of about thirty-five, with very lively eyes. He greeted us effusively, welcomed us, and, with a sweeping gesture that seemed to encompass the whole of Ireland, surrendered his seat. He didn't say a word about the fact that we just stood here without calling, call Patsy! Unfortunately he is not quite there with his place, next year he wants to set up lighting and proper sanitary facilities with a shower, for which he first has to earn the money this year. And an overnight stay only costs ten euros. When I pulled out my wallet, he waved me off. Tomorrow! Maybe we'd stay longer, that would make him very happy. Then he wished us good night. Unfortunately, the rising wind drove us into the car, so we couldn't enjoy Patsy's garden furniture and panoramic view outside for too long. Just as I was leaving the dixi toilet the next morning, Patsy came around the corner as if by chance. I had previously checked the office trailer but found it empty. The greeting was just as lively as the day before, but I had to answer the urgent question of how long we were going to stay. It was hard for us to disappoint such a friendly entrepreneur, but we had decided to find a more comfortable base for our stay in the area, which we managed to do in Kilcar on a small family owned farm. So we paid and wished Patsy continued success and more guests, confirmed the outstanding view and promised to come back next year when the showers were set up. Call Patsy!