236,   ©Lass uns Reden

 

Lass uns wann anders nochmal reden, sagte ich zu ihm. Mein Tonfall klang ziemlich ernst. Er sah mich an. Skeptisch und so, als würde er mir nicht glauben, dass das etwas an der Situation ändern würde. Er schwieg und ich trank den letzten Schluck meines Cappuccinos, der nur noch aus dem übrig gebliebenen Milchschaum bestand. Mittlerweile war der Schaum kalt. Wie lange saßen wir eigentlich schon hier, in diesem überfüllten Café? Wie lange schwiegen wir uns schon an? Ich hatte das Zeitgefühl verloren. Ich zahl schon, sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen und zeigte auf die beiden Tassen, die auf unserem Tisch standen. Ich nickte abwesend. Wie war es eigentlich dazu gekommen, dass wir uns so auseinander gelebt hatten? Er zog einen zehn Euro Schein aus seinem braunen Leder-geldbeutel. Eigentlich ergänzten wir uns ziemlich gut. Er war der Ruhige, ich die Quirlige. Als wir uns das erste Mal getroffen hatten, dachten wir beide, wir könnten die ganze Welt erobern. Wir waren auf einer Wellenlänge. Mehr als das. Wir waren wie Bonny und Clyde. Nichts konnte sich uns in den Weg stellen. Nun saßen wir in diesem Café, ganz nüchtern und nicht mehr so frei, wie früher. Etwas hatte sich verändert. Oder hatten wir uns verändert? Der Weg, den wir eine Zeit lang gemeinsam gegangen waren, begann sich zu gabeln. Jetzt lag es in unserer Hand, welche Richtung wir einschlagen würden. Stimmt so, sagte er und bekam von der Kellnerin ein nettes Lächeln geschenkt. Ich runzelte die Stirn. Vier Euro Trinkgeld? Er zuckte mit den Schultern. Wieso denn nicht? War doch nett, die Kellnerin. Er sah ihr nach. Wieder runzelte ich die Stirn und spürte einen leichten Stich, Richtung Herz-region. Das war ziemlich unangenehm. Wie würde es erst sein, wenn wir endgültig getrennte Wege gehen würden? Wie würde es sein, mit einem anderen zu schlafen? Wie würde ich mich fühlen, wenn ich wüsste, dass er mit einer anderen schlafen würde? Mit dieser Kellnerin zum Beispiel. Gedankenverloren sah ich sie an. Unattraktiv war sie nicht. Ich versuchte mich in die Situation hineinzuversetzen. Er und ich wären Geschichte. Er und die Kellnerin kamen sich nahe. Je intensiver ich es mir vorstellte, desto absurder fühlte es sich an. Nicht befreiend, sondern ko-misch. Vielleicht sollte ich wirklich mal eine Pro und Contra-Liste schreiben, so wie es meine Mutter immer gesagt hatte: Kind, bei schwierigen Entscheidungen ist es wichtig, sachliche Argumente zu haben. Ja. Recht hatte sie, aber trotzdem lächerlich. Immerhin ging es hier um etwas viel Größeres, als um eine schwierige Entscheidung. Sie war verdammt schwer. Ich bring dich noch nach Hause, sagte er und stand auf. Ich nickte. Zu schnell. Ohne nachzu-denken. Als wir das Café verließen, regnete es. Vielleicht ein Zeichen, dachte ich und es kam mir wie die bittere Ironie des Lebens vor. Keiner von uns hatte einen Schirm dabei und die schweren nassen Regentropfen fielen erbarmungslos auf unsere Körper. Wie denkst du darüber?, fragte er und verzog das Gesicht. Er hasste Regen. Ich auch. Etwas, dass uns verband. Aber wer mochte eigentlich Regen? Gab es wirklich Menschen, die Regen mochten? Wahrscheinlich. Ich steckte die Hände in meine Manteltasche und seufzte. Ich weiß nicht. Es hat sich viel verändert. Hm, sagte er und sah mich von der Seite an. Schweigend gingen nebeneinander her. Zum Glück wohnte ich nicht weit weg. Zu Fuß dauerte es fünfzehn Minuten. Die fühlten sich hier gerade dreimal so lange an. Willst du noch mit rauf?, fragte ich unsicher, als wir vor der Haustür standen. Er zögerte, ich knickte ein. Ja, vielleicht eine blöde Idee. Ich kramte meinen Haustürschlüssel aus der Tasche und wurde traurig. Das musste er doch auch spüren. Diese Traurigkeit. Diesen Kloß im Hals. Vielleicht können wir aus Später, auch jetzt machen, antwortete er und lächelte gequält. Seine nassen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Ich verstand erst nicht, worauf er anspielte, doch dann fiel es mir wieder ein. Reden. Es ging ums Reden. Aus Lass uns, wann anders nochmal reden, sollte also Lass uns jetzt noch einmal reden werden. Der Kloß in meinem Hals wurde größer und trotz der winterlichen Kälte wurde mir heiß. Ok, sagte ich und schloss die Tür auf. Wir stiegen die hölzernen Treppen nach oben, die bei jedem Schritt laut knarrten. Die sollten sich überlegen, ob sie hier einen Aufzug einbauen, meinte er atemlos, als wir im fünften Stock ankamen. Ich musste lachen, genau das dachte ich mir auch immer. So unsportlich bist du doch gar nicht. Man wird älter, entgegnete er und grinste. Schon faszinierend, wie schnell sich Gefühle ändern können. Von Traurigkeit zu Freude innerhalb von fünf Stockwerken. Ich liebte diesen Altbau mit seinen Treppen. Treppen waren wunderbar. In meiner kleinen Einzimmerwohnung legten wir die nassen Klamotten ab. Ich war froh, zuhause zu sein. Mit ihm. Wir setzten uns auf mein altes Sofa und schwiegen. Es war ein schweres, erdrückendes Schweigen. Kaum auszuhalten. Langsam fuhr ich mit meiner Hand über das weiche Sofapolster und zeichnete unsichtbare Muster hinein. Ich, begann er, und sofort drehte ich mein Gesicht zu seinem. Was würde er jetzt sagen? Mein Herz schlug plötzlich schneller. Ich spürte Angst. Würde er nun jetzt alles beenden? Einfach so? Mit wenigen Worten? Oder gar keinen? Vielleicht sollte ich den Anfang machen. Den Anfang vom Ende. Mein Mund öffnete sich. Ich konnte nicht. Kein Laut kam über meine Lippen. Sein Blick traf meinen u. er lächelte verschmitzt. Unsere Gesichter näherten sich. Ein Kuss. Vorsichtig und sehr sanft. Ich war erleichtert, dass wir nicht mehr reden mussten. Es fühlte sich gut an, ihn zu küssen. Seine Hand ging unter mein T-Shirt. Ziemlich schnell landeten wir im Bett. Es war wie früher, nur anders. Sollte das nun das letzte Mal gewesen sein? Wir lagen Arm in Arm nebeneinander, ich lauschte seinem Atem, der langsam immer ruhiger wurde. Nach einer Weile zündete ich mir eine Zigarette an. Du rauchst ja immer noch, stellte er fest, aber es klang nicht wirklich wie ein Vorwurf. Ja, sagte ich kurz und knapp. Dann schwiegen wir. Es war kein erdrückendes Schweigen mehr. Wir spürten beide, dass das Thema noch offen war. Er übernahm die Initiative. Wie soll es weitergehen? Ich sah ihn an und hatte keine Antwort auf seine Frage. Im Moment wollte ich auch keine finden. Lass uns wann anders nochmal reden, sagte ich und wir mussten beide lachen.

 

 

 

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236.  ©Let's talk

 

Let's talk again sometime, I said to him. My tone sounded quite serious. He looked at me. Skeptical and as if he didn't believe me that it would change anything about the situation. He said nothing and I drank the last sip of my cappuccino, which consisted only of the leftover milk foam. The foam was cold now. How long have we actually been sitting here, in this crowded café? How long have we been silent? I had lost track of time. I'll pay, he said as if he had read my mind and pointed to the two cups that were on our table. I nodded absently. How did it come about that we had grown so apart? He pulled a ten euro bill out of his brown leather wallet. Actually, we complemented each other quite well. He was the quiet one, I was the lively one. When we first met, we both thought we could conquer the whole world. We were on the same wavelength. More than that. We were like Bonny and Clyde. Nothing could stand in our way. Now we were sitting in this café, very sober and not as free as before. Something had changed. Or had we changed? The path we had walked together for a while began to fork. It was now up to us which direction we would take. That's right, he said and got a nice smile from the waitress. I frowned. Four euros tip? He shrugged his shoulders. Why not? The waitress was nice. He looked after her. Again I frowned and felt a slight pang towards the heart region. That was pretty uncomfortable. What would it be like if we finally went our separate ways? What would it be like to sleep with someone else? How would I feel if I knew he was sleeping with someone else? Like this waitress, for example. I looked at her, lost in thought. She wasn't unattractive. I tried to put myself in the situation. He and I would be history. He and the waitress became close. The more intensely I imagined it, the more absurd it felt. Not liberating, but comical. Maybe I should really write a list of pros and cons, like my mother used to say: child, when it comes to difficult decisions, it's important to have factual arguments. Yes. She was right, but still ridiculous. After all, this was about something much bigger than a difficult decision. She was damn heavy. I'll take you home, he said and got up. I nodded. Too fast. Without thinking. It was raining when we left the cafe. Maybe a sign, I thought, and it struck me as life's bitter irony. None of us had an umbrella with us and the heavy wet raindrops fell mercilessly on our bodies. What do you think about that? he asked, making a face. He hated rain. Me too. Something that connected us. But who actually liked rain? Were there really people who liked rain? Probably. I put my hands in my coat pocket and sighed. I do not know. A lot has changed. Hm, he said and gave me a sideways look. Walked side by side in silence. Luckily I didn't live far away. It took fifteen minutes to walk. They just felt three times as long here. Do you still want to go up? I asked uncertainly when we were standing in front of the front door. He hesitated, I buckled. Yes, maybe a stupid idea. I pulled my front door key out of my pocket and felt sad. He had to feel that too. That sadness. That lump in my throat. Maybe we can make later into now, too, he answered and gave a wry smile. His wet hair tangled in his face. I didn't understand what he was referring to at first, but then I remembered. Talk. It was about talking. From Let's talk again when else should be Let's talk again now. The lump in my throat grew and despite the winter cold, I felt hot. Ok, I said and unlocked the door. We climbed the wooden stairs, which creaked loudly with every step. They should think about installing an elevator here, he said breathlessly when we got to the fifth floor. I had to laugh, that's what I always thought. You're not that unsportsmanlike. You get older, he replied and grinned. It's amazing how quickly feelings can change. From sadness to joy in five floors. I loved this old building with its stairs. Stairs were wonderful. We took off our wet clothes in my small one-room apartment. I was happy to be home. With him. We sat down on my old sofa and said nothing. It was a heavy, crushing silence. Barely bareble. I slowly ran my hand over the soft sofa upholstery and drew invisible patterns into it. Me, he began, and I immediately turned my face to his. What would he say now? My heart suddenly beat faster. I felt fear. Would he now end everything? Simply that way? In a few words? Or none at all? Maybe I should start first. The beginning of the end. My mouth opened. I could not. Not a sound escaped my lips. His gaze met mine and he smiled mischievously. Our faces drew closer. A kiss. Careful and very gentle. I was relieved that we didn't have to talk anymore. It felt good to kiss him. His hand went under my shirt. We ended up in bed pretty quickly. It was like before, just different. Should this have been the last time? We lay arm in arm next to each other, I listened to his breathing, which was slowly getting calmer. After a while I lit a cigarette. You're still smoking, he pointed out, but it didn't really sound like an accusation. Yes, I said succinctly. Then we were silent. It wasn't an oppressive silence anymore. We both felt that the topic was still open. He took the initiative. How to proceed? I looked at him and had no answer to his question. I didn't want to find any at the moment either. Let's talk again sometime, I said and we both had to laugh.