181.  ©Der Rest meines Lebens

 

Es war ein sonniger Montagmorgen, als ich meinem Arzt zu einem Abschlussgespräch gegenübersaß. Ich hoffte auf ein Rezept, das gegen meine in der letzten Zeit auftretenden, massiven Kopfschmerzen wirksam wäre. Mein Arzt jedoch rang mit seinen Worten. Er versuchte mir anhand des CT-Bildes so schonend wie möglich beizubringen: Es tut mir sehr leid, Ihnen die schreckliche Diagnose mitteilen zu müssen. Sie haben einen Hirntumor, der inoperabel ist. Ihre Lebenserwartung beträgt schätzungsweise nur noch ein Jahr! Alle weiteren Sätze, von möglichen Behand-lungsmethoden etc., hat mein Gehirn dann verständlicherweise völlig ausgeblendet. Ich flüchtete nach Hause, packte meine Sachen und schrieb meiner Frau auf einen Zettel, dass ich dringend beruflich verreisen müsse. Meine Reise führte zu der abgelegenen Alm meines Lieblingsonkels. Ich wusste ja, wo der Schlüssel versteckt lag. Auf dem Weg dorthin ging ich einkaufen und gönnte mir alle möglichen Delikatessen für die nächsten Tage, denn wofür sollte ich nun noch sparen? Am Berg angekommen ging es mir sofort wesentlich besser. Ich verstaute meine Sachen, packte den Rucksack und bestieg den Berggipfel, der einen herrlichen Ausblick über das Tal bot. Verzweifelt versuchte ich, die Aussicht zu genießen, doch es gelang mir nicht, denn mein Leben rauschte an mir vorüber. Ich fragte mich: Warum gerade ich? Ich habe doch nie etwas Schlimmes gemacht, habe gesund gelebt, war immer für andere da, stets hilfsbereit u. fürsorglich. War mit den Jungs gern am Fußballplatz, habe meine Tochter zu ihren Tennisspielen begleitet. Natürlich habe ich hart gearbeitet, sehr hart sogar, denn ich wollte immer, dass es meiner Frau und den Kindern an nichts mangelt. Bei meinen Überlegungen, was ich falsch gemacht haben könnte, fiel mir auf, dass ich vorwiegend für meine Karriere und meine Familie gelebt hatte. Wo war ich geblieben? Vieles, was ich noch erleben wollte, sparte ich für die Zeit nach meinem Renteneintritt auf. Ja, so zwei Jahre hätte ich nun noch bis zum Rent-enalter. Diese Zeit würde ich nicht mehr erleben dürfen, geschweige das, was ich noch alles vorgehabt hätte! In den drei Tagen auf der Alm, das Handy war abgestellt, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. So fasste ich den Entschluss, dass ich, solange es ging, niemandem von meiner Diagnose erzählen würde. Ich erstellte mir meine eigene Liste mit all den Dingen, die ich während meines letzten Jahres noch erleben wollte. Da ich jedoch stets ein Realist war, plante ich in die ersten Monate all die Aktivitäten ein, bei deren Ausübung ich voraussichtlich noch einigermaßen körperlich aktiv sein konnte. Als Erstes teilte ich meinem Chef mit, dass ich künftig keine Überstunden mehr machen und auch meine Arbeitszeit drastisch reduzieren würde. Doch kam es statt des gefürchteten Donnerwetters zu einer Lösung ganz in meinem Sinne. Mein Arbeitgeber war der Meinung, nachdem ich so viele Jahre für die Firma mein Bestes gegeben und zu ihrer vollsten Zufriedenheit gearbeitet hätte, sei meinem Wunsch stattzugeben. Meiner Frau legte ich Reisebroschüren für die Toskana auf den Tisch. Ich fragte, ob sie sich nächste Woche frei Nehmen könnte, um endlich einmal die Städte zu erobern, die wir gemeinsam noch nie besucht hatten. Sie war etwas irritiert und fragte: Wie meinst du das? Ein Urlaub, nur wir zwei? Keine geschäftlichen Kontakte u. Meetings oder ein Golfurlaub, wo du um acht Uhr auf der Driving Range stehen musst und von wo du erst abends wieder zurückkehrst? Sichtlich beschämt antwortete ich: Nein mein Schatz, ich denke, es ist an der Zeit, wieder einen Urlaub nur für uns zu machen, wie in früheren Jahren. Meine sämtlichen Ehrenämter und zeitraubenden Verpflicht-ungen gab ich leichten Herzens ab. Ich konnte mittlerweile gar nicht mehr verstehen, in welcher Welt ich überhaupt gelebt hatte. Getrieben von Ehrgeiz, Verpflichtungen und vermeintlicher Verantwortung. Die weiteren Monate vergingen wie im Flug und ich genoss jeden Tag und auch jede Stunde. Ich bedauerte sehr, dass erst eine solch schreckliche Diagnose dazu geführt hatte, dass ich endlich aufwachte und erkannte, was das Leben wirklich aus-macht! Da es mir gesundheitlich wesentlich besser ging, hegte sich in mir die leise Hoffnung, dass mir vielleicht noch ein paar Monate mehr geschenkt würden. So saß ich nach einem knappen Jahr wieder meinem Arzt gegen-über. Wieder rang dieser nun mit seinen Worten: Es ist mir unerklärlich, wie dies geschehen konnte! Ihr CT-Bild wurde damals vertauscht und leider erst jetzt hab ich diesen unverzeihlichen Fehler bemerkt. Sie sind kerngesund, wenn ich das so sagen darf. Nicht nur für mich erwies sich die vertauschte Diagnose als Glücksfall. Wenige Wochen später stand ein Mann mit Kopfverband vor meiner Türe. Er stellte sich mir vor und erklärte sich: Dank des vertau-schten ärztlichen Befunds sonnte ich mich in der Gewissheit, gesund zu sein. Wie durch ein Wunder hat sich mein Tumor in der Zwischenzeit verkapselt und konnte nun komplett entfernt werden. Seither gehe ich mit diesem Mann jede Woche auf den Golfplatz und ständig philosophieren wir, wie wunderschön doch das Leben ist!

 

 

 

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181.  ©The rest of my life

 

It was a sunny Monday morning when I sat across from my doctor for a final consultation. I was hoping for a prescription that would be effective for my recent massive headaches. However, my doctor struggled with his words. Using the CT image, he tried to teach me as gently as possible: I am very sorry to have to tell you about the terrible diagnosis. You have a brain tumor that is inoperable. Their life expectancy is estimated at just one year! All other sentences, about possible treatment methods etc., then understandably completely blocked out by my brain. I fled home, packed my things and wrote my wife on a piece of paper that I urgently had to go on a business trip. My trip led to the remote alpine pasture of my favorite uncle. I knew where the key was hidden. On the way there I went shopping and treated myself to all kinds of delicacies for the next few days, because what should I save for now? When I got to the mountain, I immediately felt a lot better. I stowed my things, packed my rucksack and climbed the mountain top, which offered a wonderful view over the valley. I tried desperately to enjoy the view, but I couldn't because my life rushed by. I asked myself: why me? I've never done anything bad, lived healthy, was always there for others, always helpful and caring. I enjoyed going to the soccer field with the boys, and accompanied my daughter to her tennis games. Of course I worked hard, very hard in fact, because I always wanted my wife and children not to want for anything. As I pondered what I might have done wrong, it occurred to me that I had mostly lived for my career and my family. Where did i go I saved a lot of what I wanted to experience for the time after I retired. Yes, I would now have two years until retirement age. I would not be allowed to experience this time again, let alone what I would have planned! In the three days on the alpine pasture, the cell phone was turned off, I had a lot of time to think. So I made up my mind that I wouldn't tell anyone about my diagnosis as long as I could. I made my own list of all the things I wanted to experience during my last year. However, since I was always a realist, I planned for the first few months all the activities that I would probably still be able to do reasonably physically. First of all, I informed my boss that I would no longer work overtime and that I would also drastically reduce my working hours. But instead of the dreaded thunderstorm, a solution came to my mind. My employer was of the opinion that after so many years I had given my best for the company and worked to their complete satisfaction, I should grant my wish. I put travel brochures for Tuscany on my wife's table. I asked if she could take her week off next week to finally conquer the cities that we had never visited together. She was a little irritated and asked: What do you mean? A vacation, just the two of us? No business contacts and meetings or a golf vacation where you have to be on the driving range at eight o'clock and where you don't come back until the evening? Obviously ashamed, I replied: No my darling, I think it's time to take another vacation just for us, like in previous years. I gave up all my honorary positions and time-consuming obligations with a light heart. I could no longer understand what world I had lived in at all. Driven by ambition, obligations and supposed responsibility. The other months went by in a flash and I enjoyed every day and every hour. I was very sorry that such a terrible diagnosis had made me finally wake up and see what life is really like! Since my health was much better, I had the slightest hope that maybe a few more months would be given to me. So after almost a year I was sitting across from my doctor again. Again he struggled with his words: It is inexplicable to me how this could happen! Your CT image was swapped back then and unfortunately only now have I noticed this unforgivable mistake. You are very healthy, if I may put it that way. The reversed diagnosis turned out to be a stroke of luck not only for me. A few weeks later a man with a head bandage was standing in front of my door. He introduced himself to me and explained himself: Thanks to the medical report being mixed up, I basked in the certainty of being healthy. As if by a miracle, my tumor has encapsulated itself in the meantime and has now been completely removed. Since then I have been going to the golf course with this man every week and we are constantly philosophizing about how wonderful life is!