170.  ©Wir schaffen das!

 

Sie erinnern sich noch an den nun nicht mehr ganz so beliebten Ausspruch der Kanzlerin? Vor ein paar Wochen schoss er mir jetzt nach langer Zeit nun mal wieder durch meinen Kopf. Ich stand vor dem Vertretungsbildschirm im Lehrerzimmer, fand meinen Namen in der vierten Stunde, die ich eigentlich schon verplant hatte, und identi-fizierte nach dem zweiten Durchlauf des Textes gefühlte fünf Minuten später die vertretungsweise nun zu unter-richtende Klasse: SK. SK? Siehe Konferenzbeschluss? Sieben Kinder? Beim dritten Durchlauf fand ich das Kürzel der zu vertretenden Kollegin, Poma und die Bemerkung Stattvertretung, und kam nach den nötigen Schlussfolger-ungen a la Edgar Allen Poes Art of Deduktion. kompetenzorientiertes Literaturstudium in den 70er und 80er Jahren zum richtigen Ergebnis, es handelte sich um einen Einsatz in der Seiten Einsteiger Klasse u. anstatt einer richtigen Vertretung sollte wohl ich hingehen. Das habe ich dann in der vierten Stunde auch getan, allerdings ohne wirklich zu wissen, was ich denn mit denen anfangen würde, was übrigens auch in einer Regelklasse hin und wieder mal vorkommen soll, wenn sich das halbe Kollegium am selben Tag fort bildet. Ich öffnete also gespannt die Tür zu Raum 211 und fand dort rund ein Dutzend junger Menschen verschiedener Nationalitäten, verschiedenen Alters und sehr verschiedener Beherrschung der deutschen Sprache in drei Gruppen an wiederum verschiedenen Büchern und Arbeitsblättern arbeitend vor; also irgendwie anders als wenn ich meine eigene Regelklasse betrete. Wenn die alle schon so brav arbeiten, fragt man sich natürlich Wo kommen die denn her? und nach einer Weile wird es einem langweilig. Daher habe ich mich dazu gesetzt und versucht, den jungen Neumitbürgern ein gepflegtes Gespräch in deutscher Sprache aufzuzwingen. Das klappte bei den älteren Schülern sehr gut, auch ohne ihrer recht offenen Wor-tbeiträge gleich in die Kategorien des Europäischen Referenzrahmens für Sprachbeherrschung nun einzuordnen. Nur die vier Kleinstmigranten am Gruppentisch dort hinter mir, schienen nicht viel Gefallen an ihrem Arbeitsauf-trag gefunden zu haben und wurden immer unruhiger. Die waren in ihrer Heimat nur drei Jahre in der Schule und können kaum Deutsch, erfuhr ich nun am Tisch der Älteren, die auch gleich ihre Hilfe anboten. Der Pädagoge in mir sagte allerdings das schaffst du auch so. Am Tisch der Knirpse wäre die Kommunikation wohl sowieso nur gescheit-ert. Deshalb habe ich ihnen doch wortlos, im Sinne eines impulsgesteuerten kooperativen Unterrichts, das Arbeits-blatt weg genommen und einen Papierflieger daraus gebastelt, was dann auch, wie ja beabsichtigt, nun imitiert wurde. Dank jahrelanger Erfahrung in solchem Umgang mit Arbeitsblättern in meiner eigenen Schulzeit war mein Modell den ihren natürlich weit überlegen, was wiederum zur Folge hatte, dass sie nun lernen wollten, wie man sowas ordentlich macht. Wozu sind sie sonst auch ausgerechnet ins Land der Ingenieure geflüchtet? Da ich aber weder auf ungeduldiges am Ärmelzupfen noch auf eine englischsprachige Aufforderungen reagierte, höchstens mit einem sauber artikulierten Ja, bitte?, mussten sie aber dann doch alles herauskamen, was die Kollegin ihnen schon beigebracht hatte. Am Ende haben wir unsere Arbeitsblattflieger wieder auseinander gefaltet und sauber ausgefüllt. Na bitte, geht doch. Wir schaffen das! Das Schulministerium sagt, wir lassen kein Kind zurück, und es meint damit, solange die Kollegen sich einsetzen und die ganze Aktion kein Geld kostet, weil die angefallene Mehrarbeit natürlich nicht bezahlt wird. Mein Vorschlag, wir zeigen es dem Ministerium und weigern uns auch, die Belastung als Belastung zu empfinden; vielleicht nur, weil am Ende einer solchen Stattvertretungsstunde so ein Migrations-knirps, der einen recht großen Teil seines kurzen Lebens bisher auf der Flucht verbracht hat, nun fragt. Hallo, Herr Lehrer, kommst du morgen wieder?

 

 

 

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170.  ©We can do it!

 

Do you still remember the Chancellor's now less popular saying? A couple of weeks ago it shot through my head again after a long time. I stood in front of the substitute screen in the staff room, found my name in the fourth lesson, which I had actually already scheduled, and after the second pass of the text I identified five minutes later the class that was now to be taught as a substitute: SK. SK? See conference resolution? Seven children? In the third run I found the abbreviation of the colleague to be represented, Poma and the remark substitution, and after the necessary conclusions a la Edgar Allen Poe's Art of Deduction came. Competence-oriented literature study in the 70s and 80s to the correct result, it was a question of a job in the beginners class and instead of a real substitute I should probably go there. I did that in the fourth lesson, but without really knowing what I would do with them, which, by the way, should happen every now and then in a regular class when half of the staff is training on the same day. So I opened the door to room 211 eagerly and found around a dozen young people of different nationalities, different ages and very different command of the German language in three groups, again working on different books and worksheets; so somehow different than when I enter my own regular class. If they are all working so well, of course you ask yourself where do they come from? and after a while you get bored. That's why I sat down and tried to force the young new citizens to have a cultivated conversation in German. That worked very well with the older students, even without classifying them into the categories of the European Framework of Reference for Language Proficiency. Only the four small migrants at the group table behind me did not seem to have found much pleasure in their assignment and were getting more and more restless. They were only in school for three years in their home country and can hardly speak German, I found out at the table of the elderly, who also immediately offered to help. The pedagogue in me said, however, that you can do it. At the toddlers' table, communication would have only been a failure anyway. Therefore, without a word, in the sense of impulse-controlled cooperative teaching, I took the worksheet away from them and made a paper airplane out of it, which was then, as intended, now imitated. Thanks to years of experience in dealing with worksheets in my own school days, my model was of course far superior to theirs, which in turn meant that they now wanted to learn how to do this properly. Why else did they flee to the land of engineers, of all places? But since I didn't respond to impatient plucking at my sleeves or to an English-language request, at most with a neatly articulated Yes, please? They had to come up with everything that the colleague had already taught them. At the end we unfolded our worksheet fliers again and filled them out neatly. Oh look, it works. We make it! The Ministry of Education says we are not leaving any child behind, and by that it means as long as the colleagues are committed and the whole campaign does not cost any money, because the overtime that is incurred is of course not paid for. My suggestion, we show it to the Ministry and also refuse to perceive the burden as a burden; maybe only because at the end of such a substitute hour one of those immigrants who has spent a large part of his short life on the run now asks. Hello, teacher, will you come back tomorrow?