94.   ©Acht Stück' Bienenstich

 

Am noch kühlen Morgen eines angekündigten heißen Tages kehre ich, nach dem Blumengießen am Grab meiner lieben Mutter, in eine Bäckerei in der Neuköllner Karl-Marx-Straße ein. Ein Steh-Café, nicht das beste und auch kein EINSTEIN. Mein Kreislauf signalisiert: Kaffee, Kaffee, Kaffee! Um ihn in Schwung zu bringen, reicht es allemal. Die Verkäuferinnen sind nett, was will man mehr! Naja, etwas Atmosphäre vielleicht. Wie laut es hier! Fällt ein Handygespräch unter die Kategorie Lärm oder Umweltbelastung? Der Lärm kommt von der offenen Tür, davor steht ein Paar. Sie, etwas mollig, schwarzes Spitzentuch am Dutt, und schwarzweiß gestreifter Pullover, und einen knöchellangen schwarzen Rock, Netzpantoletten mit Glitzerblümchen, telefoniert. Wer hat bloß diese Flip-Flops für die Straße erfunden? Der Mann neben ihr, kleinwüchsig wie sie, im weißen Hemd, schwarzer Hose, dicker Gold-kette um den kurzen Hals, die Füße in Lackschuhen, steht schweigend da, mit einer Perlenkette spielend, während die Frau lautstark in ihr Handy schimpft. So hört es sich zumindest an, verstehen kann ich sie nicht. Sie spricht nicht deutsch, auch nicht polnisch, weder bulgarisch noch serbisch, vielleicht ist es rumänisch? Plötzlich schreit sie: „Scheiße!“ Schon fällt mir wieder meine Bekannte aus Russland ein, die, als sie in den 90ern ihre Verwandten in Berlin besuchte, mir ironisch ihre Eindrücke schilderte. Das Beste war, meinte sie, dass sie zwei deutsche Begriffe gelernt hatte: Geschenk und Scheiße. Die Frau vor der Tür übertönt jedes vorbeifahrende Auto. Hoffentlich hört sie bald auf, ich bestelle schon mal Kaffee. Die Frau am Nebentisch schüttelt unmissverständlich den Kopf. Wie versteht bloß die Verkäuferin die Kunden, bei diesem Lärm? Da kommt ein großer Mann herein im Unterhemd, kurzer Turnhose und Badelatschen, typisch Neuköllner Alltagslook, Drei-Tage-Bart, schütteres Haar, grau im Gesicht. Er strengt sich an, um die Frau vor der Tür zu übertönen. Ungepflegt, denke ich, schade. Ein Drei-Tage-Bart kann schön sein, wenn ein Mann das gewisse Etwas hat. Wenn er mich zum Beispiel an der Ampel nicht schubst und hinzufügt: Na, schläfst wohl, Dicke, grüner wird’s nicht! Zurück zu dem Mann, für den die Verkäuferin gerade den Kuchen sorgsam verpackt. Sie reicht ihm Kaffee, der Mann stellt ihn auf einen freien Tisch ab und holt sein Handy aus der Hosentasche. Es sieht neu und modern aus im Gegensatz zu meinem aus der Steinzeit. Während ich das tolle Handy bewundere und überlege, wieso ich nie Geld für ein neues habe, telefoniert er. Hi, ich bin’s, hab‘ acht Stück‘ Bienenstich gekauft und Schlagsahne, trinke jetzt einen Kaffee in Ruhe, bin in einer halben Stunde bei dir, bis denne! Kurz und sachlich, ein Mann, ein Wort!  Nicht wie die laute Frau vor der Tür. Sie macht Anstalten zu gehen. Doch mein Stoßgebet wird nicht erhört. Die Frau bleibt stehen und brüllt nun ins Handy. Der Mann mit den acht Stücken Bienenstich telefoniert erneut. Na, du Zuckerärschchen, bist du schon wach? Komm nach Kreuzberg, in einer halben Stunde bin ich da, habe acht Stück Bienenstich mit Schlagsahne gekauft. Was macht das Pferd? Ach, du Sch…! Gibt Schlimmeres! Ich geh jetzt nach Kreuzberg, trink nur noch meinen Kaffee. Zum Kaffee trinken kommt er nicht. Ich frage mich, wie dieser Mann es schaffen will, die Schlagsahne auf einem Pappteller zu transportieren. Und wie will er in dreißig Minuten in Kreuzberg sein, wenn er die ganze Zeit telefoniert? Ich habe genug, auch vom Geschrei, und will gehen, in dem Moment kommt hier eine Frau herein in einem langen schwarzen Mantel in Begleitung eines kleinen Jungen, ihr Handy klemmt zwischen Ohr u. Kopftuch. Sie telefoniert auf Türkisch, bestellt nebenbei zwanzig Schrippen. Tamam, tamam!, höre ich. Die Verkäuferin wartet geduldig, solange die Kundin im Portemonnaie nach Silber kramt und auch seelenruhig telefoniert. Auch der Mann mit der Schlagsahne telefoniert. Du Arsch, komme jetzt nach Kreuzberg, hab acht Stück Bienenstich u. Schlagsahne. ja Russisch vermisse ich noch in diesem gemischten Chor. Meine ehemaligen russischen Landsleute sprechen auch nicht gerade leise in der Öffent-lichkeit, mich regt das auf. Ich bedanke mich für den Kaffee bei der geplagten Verkäuferin. Sie muss den Wahnsinn aushalten. Und gehe zugleich mit der Türkin. Das Paar verschwindet in der U-Bahn-Station. Ich habe meinen Kreislauf in Schwung gebracht. Was will ich mehr?!

 

 

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94.  ©Eight pieces of bee sting

 

On the cool morning of an announced hot day, after watering the flowers at my dear mother's grave, I stop at a bakery in Neukölln's Karl-Marx-Strasse. A stand-up café, not the best and not even an EINSTEIN. My cycle signals: coffee, coffee, coffee! It is always enough to get him going. The shop assistants are nice, what more could you want! Well, maybe a little atmosphere. How loud it is here! Does a cell phone call fall under the category of noise or environmental pollution? The noise comes from the open door, a couple is standing in front of it. She, somewhat chubby, with a black lace scarf on her bun and a black and white striped sweater, and an ankle-length black skirt, fishnet mules with glittering flowers, is on the phone. Who invented these flip-flops for the street? The man next to her, short like her, in a white shirt, black trousers, a thick gold chain around his short neck, his feet in patent leather shoes, stands in silence, playing with a pearl necklace, while the woman scolds her cell phone loudly. At least that's how it sounds, I can't understand her. She doesn't speak German, not even Polish, neither Bulgarian nor Serbian, maybe it's Romanian? Suddenly she yells: “Shit!” I remember my acquaintance from Russia who, when she visited her relatives in Berlin in the 90s, ironically described her impressions to me. The best thing, she said, was that she had learned two German terms: present and shit. The woman in front of the door drowns out every passing car. Hopefully she'll stop soon, I'll order coffee someday. The woman at the next table shakes her head unmistakably. How does the saleswoman understand the customer, with all this noise? A tall man comes in in an undershirt, short gym shorts and flip-flops, a typical Neukölln everyday look, a three-day beard, thinning hair, gray in the face. He tries to drown out the woman at the door. Unkempt, I think, it's a shame. A three-day beard can be beautiful when a man has that certain something. If, for example, he doesn't push me at the traffic light and adds: Well, sleep well, fat girl, it doesn't get any greener! Back to the man for whom the saleswoman is carefully packing the cake. She hands him coffee, the man places it on an empty table and takes his cell phone out of his pocket. It looks new and modern unlike mine from the Stone Age. While I admire the great cell phone and wonder why I never have money for a new one, he is on the phone. Hi, it's me, I've bought eight bee stings and whipped cream, have a coffee now, I'll be with you in half an hour, see you! Short and factual, one man, one word! Not like the loud woman at the door. She is about to leave. But my quick prayer is not answered. The woman stops and yells into the cell phone. The man with the eight pieces of bee sting is on the phone again. Are you awake already? Come to Kreuzberg, I'll be there in half an hour, bought eight bee stings with whipped cream. What is the horse doing? Oh, you sh ...! There are worse things! I'm going to Kreuzberg now, just have my coffee. He doesn't come to drink coffee. I wonder how this man is going to manage to transport the whipped cream on a paper plate. And how does he want to be in Kreuzberg in thirty minutes when he's on the phone all the time? I've had enough, also of the screaming, and want to go, at that moment a woman comes in here in a long black coat, accompanied by a little boy, her cell phone stuck between her ear and headscarf. She calls in Turkish and orders twenty rolls on the side. Tamam, tamam !, I hear. The saleswoman waits patiently as long as the customer rummages in her wallet for silver and is calmly on the phone. The man with the whipped cream is also on the phone. You ass, come to Kreuzberg now, have eight pieces of bee sting and whipped cream. yes I still miss Russian in this mixed choir. My former Russian compatriots do not speak very softly in public either, that upsets me. I thank the troubled saleswoman for the coffee. She has to endure the madness. And go with the Turkish woman at the same time. The couple disappears into the subway station. I got my circulation going. What could I want more?