81.  ©Der Anruf ...   v. Elisabeth Graf

 

Bereits seit einer knappen Stunde saß Sie auf einem Hocker vor dem Telefon und erwartete seinen Anruf. Er hatte versprochen, sich heute zu melden und was er versprach, das hielt er auch. Wenn Sie an ihn dachte, krampfte sich nun ihr Herz vor Sehnsucht zusammen. Wie viel Zeit war seit der letzten Begegnung vergangen? Drei Monate? Vier? Sie konnte es aber nicht genau bestimmen, wusste nur, dass eine Ewigkeit ins Land gezogen war. Auch Telefonieren ging nicht oft. Er war meistens irgendwo unterwegs, wo es weit und breit kein Telefon gab, schlug sich mit seinen Kameraden fernab der Zivilisation durch die Berge. Dies war die Überlebensstrategie seiner kleinen Armee, ihr einziger Trumpf gegenüber einem übermächtigen Gegner: Er und die anderen kannten das schwierige Gelände, weil sie dort zuhause waren. Sie musste lächeln, als sie nun an seinen Traum dachte. Es war ein schöner Traum von Freiheit und Unabhängigkeit. Doch gleichzeitig war dieser Traum auch das, was ihn von ihr trennte, der Grund, warum er in diesem Augenblick nicht bei ihr sein konnte. Er verfolgte ihn mit Entschlossenheit und Kampfgeist, beides Eigenschaften, die nicht recht zu seinem ansonsten weichen Wesen passen mochten. Sie hatte jedoch gelernt, damit zu leben und wünschte ihm aus tiefster Seele, dass er Erfolg hätte. Ein Blick zur Wanduhr sagte ihr, es war so weit. Jeden Augenblick müsste nun das Telefon klingeln und sie seine Stimme vernehmen. Er würde ihr sagen, dass er sie liebe und bald nach Deutschland komme. Um seinen Geburtstag zu feiern, so wie im letzten Jahr seine Volljährigkeit. Der Fotograf war da gewesen und hatte Aufnahmen von ihnen beiden gemacht, fast so, als seien sie bereits ein Ehepaar. Eines dieser Bilder zeigte ihn allein: Er blickte verträumt in die Kamera, ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte seine vollen, empfindsamen Lippen. Dieses Foto hütete sie wie einen Schatz, trug es immer bei sich. Auch jetzt befand es sich sicher verstaut in ihrer warmen Hand. Sie betrachtete sein Gesicht mit den dunklen Augen, welche direkt auf sie gerichtet schienen. Ihr Herz dehnte sich weit, erfüllt von der Vorfreude auf seinen Anruf. Zweifellos war er der mit Abstand hübscheste Mensch auf Erden. Und doch hatte sie sich zunächst in seine ruhige, sanfte Art und seine Gedanken verliebt später erst in sein Äußeres. Mit einem Mal ergriff eine merkwürdige Unruhe von ihr Besitz, ganz plötzlich, während sie noch in den Anblick seines Fotos vertieft war. Dieses Gefühl unterschied sich auf erschreckende Weise von der freudigen Erwartung, welche sie empfand. Sie schob es bei Seite. Was sollte ihm schon passieren? Er kannte dieses Land, um das er hier kämpfte, ja wie seine Westen-tasche. Außerdem hatte er ihr doch auch versprochen, auf sich aufzupassen. Die Wanduhr tickte unablässig. Schon eine halbe Stunde über der verabredeten Zeit! Diese Warterei begann, an ihren Nerven zu zerren. Ruf doch an, schrie es in ihr. Ruf doch bitte endlich an! Entschieden mahnte sie sich nun selbst zur Ruhe: Er befand sich ja nun schließlich in einem Kriegsgebiet und nicht im Nachbarort! Ich liebe dich so, dachte sie. Für mich wird es nie einen anderen Mann geben. Und sie wusste: Er liebte sie auch. Pass auf, mein Schatz: Sobald diese Sache hier vorbei ist, komme ich zu dir zurück für immer. Das waren seine Worte beim letzten Telefongespräch gewesen. Dann heiraten wir und gründen eine Familie. Was meinst du dazu? Was sie dazu meinte? Welcheine dumme Frage! Sie merkte, dass sie träumte, sah ihn vor sich, sein Lächeln, seine Augen. Ein schrillendes Läuten holte sie aus ihrer Ver-sunkenheit. Ihr Herz tat einen Sprung. Das Telefon! Sie riss den Hörer an sich, flüsterte seinen Namen in die Muschel und wartete atemlos. Diese Stimme. Es war doch nicht seine, sondern die seines besten Freundes und Kampfgefährten: Ich muss dir etwas sagen. Augenblicklich erstarrte das Blut in ihren Adern zu Eis und ein Teil ihrer Seele zerbarst in tausend Scherben. Er brauchte nicht weiter zu sprechen. Sie wusste Bescheid. Der Telefonhörer rutschte ihr aus der Hand und landete mit einem Krachen auf den harten Fliesen. Sein Foto schwebte haltlos schwingend zu Boden, wo es sanft zum Liegen kam. Und hier mach ich heute Schluss mit dieser Geschichte, es wir hier sonst viel zu sehr traurig…

 

 

 

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81.  ©The call ... v. Elisabeth Graf

 

She had been sitting on a stool in front of the phone for almost an hour and was waiting for his call. He had promised to get in touch today and he kept what he promised. When she thought of him, her heart would now cramp with longing. How much time had passed since the last meeting? Three months? Four? But she couldn't pinpoint it, only knew that an eternity had passed. Telephoning didn't work very often either. He was mostly out and about somewhere where there was no phone far and wide, and he and his comrades made their way through the mountains far away from civilization. This was the survival strategy of his small army, their only trump card against an overpowering opponent: he and the others knew the difficult terrain because they were at home there. She had to smile when she thought about his dream. It was a beautiful dream of freedom and independence. But at the same time this dream was what separated him from her, the reason why he couldn't be with her at this moment. He pursued him with determination and fighting spirit, both qualities that might not quite suit his otherwise soft nature. However, she had learned to live with it and from the bottom of her soul she wished him success. One look at the wall clock told her it was time. At any moment the phone should ring and you should hear his voice. He would tell her that he loved her and that he would be coming to Germany soon. To celebrate his birthday, like he came of age last year. The photographer had been there and took pictures of the two of them, almost as if they were already a married couple. One of these pictures showed him alone: he looked dreamily into the camera, a barely perceptible smile played around his full, sensitive lips. She kept this photo like a treasure, always carried it with her. Even now it was safely tucked away in her warm hand. She looked at his face with the dark eyes that seemed to be focused directly on her. Her heart stretched wide, looking forward to his call. Without a doubt, he was by far the prettiest person on earth. And yet she first fell in love with his calm, gentle manner and his thoughts only later fell in love with his appearance. Suddenly a strange restlessness took hold of her, all of a sudden, while she was still absorbed in the sight of his photo. This feeling was terrifyingly different from the joyful anticipation she felt. She pushed it aside. What was going to happen to him? He knew this country, for which he was fighting here, like the back of his hand. Besides, he had promised her to take care of herself. The wall clock was ticking incessantly. Half an hour ahead of the agreed time! This waiting was starting to get on her nerves. Call it, she screamed. Please call at last! She now resolutely admonished herself to calm down: After all, he was now in a war zone and not in the neighboring town! I love you so much, she thought. For me there will never be another man. And she knew: he loved her too. Take care my darling: once this thing is over, I'll come back to you forever. Those were his words on the last phone call. Then we get married and have a family. What do you think about? What did she think of that? What a stupid question! She noticed that she was dreaming, saw him before her, his smile, his eyes. A shrill chime brought her out of her oblivion. Her heart leaped. The telephone! She grabbed the phone, whispered his name into the shell and waited breathlessly. This voice. It wasn't his but that of his best friend and comrade in arms: I have something to tell you. Instantly the blood in her veins froze to ice and part of her soul shattered into a thousand pieces. He didn't need to speak any more. She knew. The telephone receiver slipped from her hand and landed with a crack on the hard tiles. His photo floated to the ground, swinging steadily, where it gently came to rest. And here I put an end to this story today, otherwise it is way too sad here ...