66.  ©Beim Piffri

 

Ehrlich gesagt, ich bin nie gerne zum Friseur gegangen. Auch schon lange vor der Zeit, als ich endlich selbst bestimmen konnte und beschloss, überhaupt nicht mehr zum Friseur zu gehen. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, wird mir klar, dass Erinnerungen an den Friseur zu meinen ältesten Erinnerungen gehören. Wie weit sie genau zurück reichen, weiß ich nicht. Aber einige Vorstellungsbilder stammen sicherlich noch aus der Zeit bevor ich zur Schule ging. Das war in den frühen fünfziger Jahren. Unser Frisör hieß Pfeifer, Philipp Pfeifer. Aber bei uns hieß er nur de Peifer Filp oder de Piffri. Der Frisörladen war nicht weit von zu Hause entfernt, höchstens zweihundert Meter. Zuerst musste man ein paar Treppenstufen hoch gehen, vielleicht sechs oder sieben. Links ging es in das Tante-Emma-Lädchen, in dem wir häufig einkauften. Als ich noch klein war, war die Theke riesig hoch; und die großen bauchigen Gläser mit den bunten Bonbons waren unerreichbar. In den Frisörladen ging es rechts. Der Frisörladen war eigentlich ein einfaches kleines Zimmer. Aber auf ein Kind musste allein schon die eigentümliche Einrichtung einen tiefen Eindruck machen. An der breiten Wandseite riesengroße Spiegel. Nach unten wurden sie abgeschlossen durch einen Wandtisch, in den zwei Becken eingearbeitet waren. Der mächtige Wandtisch war aus Holz; ob die Becken aus Marmor, aus Porzellan oder aus Metall waren, kann ich heute nicht mehr sagen. Vor der imposanten Armatur nur zwei Stühle für Erwachsene. In der kindhaften Erinnerung erscheinen sie riesengroß und schwer. Ob sie tatsächlich gepolstert waren? Vielleicht waren es aber auch nur einfache Holzstühle? Ich weiß es nicht mehr. Der Kinderstuhl war aus braunem Holz. Vier hohe schlanke Stelzen gingen vom Boden bis zum oberen Rand, wo sie an der hufeisenförmigen Lehne abschlossen. Knapp über dem Boden wurden die Stelzen durch Querhölzer zusamm-engehalten. Auf dem Wandtisch und in verschiedenen Vitrinen tausenderlei Utensilien. Natürlich allerlei Scheren, Kämme und Bürsten. Verschiedene Tuben und Tübchen. Fläschlein mit Duftwässerchen, Parfüms. Eine Flasche aus dickem, goldbraunem Glas mit dünnen Querrillen. Unvergessen der Werbespruch Es ist nie zu früh und selten zu spät für Diplona. Haarwässerchen und Haarwuchsmittel waren damals natürlich kein Thema für mich. Übrigens auch später nicht, als sich meine Haarpracht ziemlich rasch dünne machte. Eine besondere Faszination ging von dem Zerstäuber aus. Ein bauchiges Fläschlein, oben eine Metalldüse und daran ein rotbrauner Gummi-schlauch, der in einem dicken Gummiballon endete. Kurzes Drücken auf den Ballon, pff, pff, pff, und feinste Tröpfchen verteilten sich über das Haar und verströmten einen charakteristischen Duft. Überhaupt war der ganze Raum durch einen charakteristischen Duft markiert. Ich würde ihn vermutlich heute sofort wiedererkennen; aber merkwürdigerweise kann ich ihn nicht beschreiben. Ich habe daran keine konkrete sinnliche Erinnerung. Ganz anders verhält es sich mit einer anderen Geruchserinnerung, die vermutlich meine aller älteste Erinnerung ist. Die hat aber nichts mit dem Friseur zu tun; und so werde ich darüber an anderer Stelle berichten. Wir bleiben beim Piffri. In einem Herrensalon durften natürlich die folgenden Utensilien nicht fehlen: Rasierschaum, Rasierpinsel, eine Gummischale, in der der Schaum angerührt wurde, Rasiermesser u. ein Lederriemen zum Schärfen der Klinge. Gelegentlich ließ sich einer der älteren Männer, alt erschienen damals alle Erwachsenen-rasieren. In der schwarzen Gummischale wurde der Schaum geschlagen. Dann der Bart kräftig eingeseift. Das Rasiermesser mit ein paar schnellen Strichen am Leder-riemen geschärft; ritsch ratsch, ritsch ratsch, ritsch ratsch. Und dann vorsichtig, Strich um Strich die glatte nackte Haut freigelegt. Vermutlich floss auch ab, an Blut. Aber mich betraf das nicht. Mein Platz war auf dem Kindersitz. Vor dem Haareschneiden wurde der Umhang aus Stoff um den Hals gebunden. Schlichter weißer Stoff. Die ersten Grob Arbeiten mit Schere und Kamm. Dann der mechanische Haarschneider. Wenn der Piffri die Zangengriffe in der Faust zusammen drückte, machte es leise quack, quack, quack und die hellblonden Haarbüschel fielen lautlos zu Boden. Zum Feinschliff benutzte er eine elektrische Haarschneidemaschine. Leises stetiges Summen, nicht bedroh-lich. Gelegentlich kam auch das Rasiermesser zum Einsatz; ritsch, ritsch, ritsch. Schließlich der buschige Pinsel, mit dem er die feinen Härchen aus dem Nacken bürstete. Aber ein paar blieben immer im Kragen hängen, manche noch stundenlang. Die frühen sechziger Jahre, für mich die Phase der Vorpubertät, waren die Goldene Ära des Haarsprays. Mit der Taft-Dose von Wella rückten nicht nur die Frauen den Haaren zu Leibe. Damals war noch keine Rede von Treibgasen, Ozonloch, Umweltschutz. Wir haben uns das Zeug bedenkenlos auf den Kopf gesprüht. Die Haare fühlten sich dann ganz unnatürlich an. Wie klein gehäckseltes Stroh. Aber dafür hätte die Schmalztolle à la Elvis auch einem mittleren Wirbelsturm standgehalten. In meinem Flur hängt heute eine Mini-Galerie alter Fotos. Ein kleines Schwarz-Weiß-Bild, das nun schnurstracks auf die Vierzig zugeht, zeigt mich im Konfirmanden Anzug. Den Kopf ziert auf der linken Seite ein akkurat gezogener Scheitel, das Haupthaar ist zu einer atemberaubenden Welle hoch-gedrückt, selbstverständlich mit Haarspray gefestigt. In diesem Aufzug war ich noch der ganze Stolz meiner Mutter. Aber das sollte sich bald ändern. Die Pubertät, ohnehin eine Zeit der Auflehnung und Revolte, fiel bei mir in eine Epoche tiefgreifender kultureller und politischer Umwälzungen, die ihren augenfälligen Ausdruck in radikalen Veränderungen der Haartracht fanden. Der Kampf der Generationen, das heißt: der Kampf zwischen meiner Mutter und mir lief zum größten Teil über die Auseinandersetzung ums Haar. Den Auftakt zur nächsten Runde des Gene-rationenkampfes bildete gewöhnlich der Spruch: Wie laafsch den du schunn widder rum? Du sieschd jo aus wien Biedels dass der Singular von Beatles Beatle heißt, spielte dabei keine Rolle. Mach, dass de mol widder zum Friseer kummschd! Die unausweichliche Folge waren endlose Debatten, erbitterter Streit, nicht selten Tränen und wochen-langes Schweigen. Wenn ich mich dann schließlich doch beim Piffri blicken ließ, hieß es "Rund oder Fassong?" Ehrlich gesagt, wusste ich damals weder was Fassong bedeutet, noch wie man es schreibt. "Rund" klang viel zu ge-wöhnlich, also lautete die Antwort in der Regel "Fassong". Zum Abschluss der Prozedur nahm der Piffri den großen Handspiegel und beschrieb damit einen Halbkreis hinter meinem Kopf, so dass ich im Frontspiegel die "Fassong" bewundern konnte. Es kam aber keine Bewunderung auf. Ganz im Gegenteil: Ich kam mir immer elend vor. Schlimmer als nackt. Auf dem Rückweg habe ich die Schritte beschleunigt, um so rasch wie möglich nach Hause zu kommen. Vor Scham hielt ich den Kopf gesenkt, so manches Mal den Tränen nah. Bloß nicht gesehen werden.

 

 

 

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66.  ©At the Piffri

 

To be honest, I never enjoyed going to the hairdresser. Long before the time when I could finally decide for myself and decided not to go to the hairdresser at all. Now that I think about it, I realize that memories of the hairdresser are among my oldest memories. I don't know exactly how far back they go. But some imaginations are certainly from the time before I went to school. That was in the early 1950s. Our hairdresser was called Pfeifer, Philipp Pfeifer. But with us he was only called de Peifer Filp or de Piffri. The barber shop wasn't far from home, two hundred yards at the most. First you had to go up a few flights of stairs, maybe six or seven. On the left we went to the corner shop where we often went shopping. When I was little, the counter was huge; and the big, bulbous glasses with the colorful candies were out of reach. The barber shop was on the right. The barber shop was actually a simple little room. But the peculiar furnishings alone had to make a deep impression on a child. Huge mirrors on the broad side of the wall. At the bottom they were closed by a wall table in which two basins were incorporated. The huge wall table was made of wood; I can no longer say today whether the basins were made of marble, porcelain or metal. Only two chairs for adults in front of the imposing fittings. In the childlike memory they appear gigantic and heavy. Was it really padded? Or maybe it was just simple wooden chairs? I do not know it anymore. The high chair was made of brown wood. Four tall, slender stilts went from the ground to the top, where they ended with the horseshoe-shaped backrest. Just above the ground, the stilts were held together by crossbars. Thousands of utensils on the wall table and in various showcases. All kinds of scissors, combs and brushes, of course. Different tubes and tubes. Small bottles of scented water, perfumes. A bottle made of thick, golden-brown glass with thin transverse grooves. Unforgettable the advertising slogan It is never too early and rarely too late for Diplona. Hair lotions and hair restorers were of course not an issue for me at the time. Not even later, by the way, when my head of hair was thinning rather quickly. The atomizer was particularly fascinating. A bulbous bottle with a metal nozzle on top and a red-brown rubber hose that ended in a thick rubber balloon. Briefly pressing the balloon, pff, pff, pff, and the finest droplets spread over the hair and gave off a characteristic scent. In general, the whole room was marked by a characteristic scent. I would probably recognize him immediately today; but strangely enough, I cannot describe it. I have no concrete sensual memory of it. The situation is completely different with another olfactory memory, which is probably my oldest memory. But it has nothing to do with the hairdresser; and so I will report on it elsewhere. We stay with the Piffri. In a men's salon, of course, the following utensils should not be missing: shaving foam, shaving brush, a rubber bowl in which the foam was mixed, razor and a leather strap for sharpening the blade. Occasionally one of the older men, who all seemed old at the time, had himself shaved. The foam was whipped into the black rubber bowl. Then the beard was heavily soaped. Sharpened the razor with a few quick strokes on the leather strap; ritsch ratchet, ritsch ratchet, ritsch ratchet. And then carefully, line by line, the smooth, bare skin is exposed. Presumably there was also drainage, of blood. But that didn't concern me. My place was on the child seat. Before the haircut, the cloth cloak was tied around the neck. Plain white fabric. The first rough work with scissors and a comb. Then the mechanical hair clipper. When the Piffri squeezed the pliers handles together in his fist, it quietly quacked, quacked, quacked and the light-blonde tufts of hair fell silently to the ground. For finishing touches, he used an electric clipper. Soft, steady hum, not threatening. Occasionally the razor was also used; ritsch, ritsch, ritsch. Finally the bushy brush with which he brushed the fine hairs off the back of his neck. But a few always got stuck in the collar, some for hours. The early sixties, pre-pubescent for me, was the golden era of hairspray. With the taffeta can from Wella, it wasn't just women who tackled their hair. At that time there was still no talk of propellants, ozone holes, environmental protection. We sprayed it on our heads without hesitation. The hair then felt completely unnatural. Like chopped straw. But the Schmalztolle à la Elvis would have withstood a medium hurricane. A mini gallery of old photos hangs in my hall today. A small black-and-white picture that is now heading straight for forty shows me in a confirmation suit. The head is adorned on the left side with an accurately pulled part, the main hair is pushed up into a breathtaking wave, of course set with hairspray. In this elevator I was still my mother's pride and joy. But that should change soon. Puberty, anyway a time of rebellion and revolt, fell for me in an epoch of profound cultural and political upheavals, which found their obvious expression in radical changes in hairstyle. The struggle of the generations, that is: the struggle between my mother and me was largely about the argument about the hair. The prelude to the next round of the generation struggle was usually formed by the saying: How laafsch the du schunn aries around? Du sieschd jo from Vienna Biedels that the singular of Beatles is called Beatle, played no role. Make de mol aries to the hairdresser! The inevitable results were endless debates, bitter arguments, often tears and weeks of silence. When I finally showed up at the Piffri's, it was "Round or Fassong?" To be honest, I didn't know what Fassong meant or how to write it back then. "Round" sounded way too common, so the answer was usually "Fassong". At the end of the procedure, the Piffri took the large hand mirror and used it to describe a semicircle behind my head so that I could admire the "Fassong" in the front mirror. But there was no admiration. On the contrary: I always felt miserable. Worse than naked. On the way back, I quickened my pace to get home as quickly as possible. I kept my head bowed in shame, sometimes close to tears. Just not be seen.