57.  ©Das Gesicht in der Menge

 

Wozu doch eine defekte Lichtmaschine am Auto auch mal gut sein kann. Da war zum einen nun die Gewissheit, der Kraftfahrzeugwerkstatt zu einem neuen Auftrag verholfen, damit zum Umsatz der Firma beigetragen und somit der Sicherheit der Arbeitsplätze gedient zu haben. Daneben wusste ich, dass ich auch meiner Gesundheit einen Dienst erwies, indem ich mich zwei Tage ohne PKW durchs Leben schlug, meine Füße zum Gehen benutzte, anstatt Pedale zu bedienen. Ferner verhalf ich hier durch den Kauf von Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel wiederum den Berliner Verkehrsbetrieben zu ein paar Euro in der Kasse, was auch wieder Arbeitsplätze sicherte. Ob der Busfahrer wohl deshalb hier so freundlich lächelte, als ich einstieg? Schließlich und vor allem aber nun veränderte die defekte Lichtmaschine mein ganzes Leben. Das glauben Sie nicht? Warten Sie ab, bis sie die ganze Geschichte kennen. Vielleicht haben Sie danach selbst Lust, Ihr Auto mal stehen zu lassen, selbst wenn alle Bauteile in Ordnung sind. Ich war um 16:32 Uhr am Bahnhof Zoo zugestiegen. Der Bus in Richtung Schöneberg war relativ voll. Gestresste Hausfrauen mit zerrenden und zeternden Kleinkindern, die umso mehr die Hand der Mutter halten wollten, je mehr Einkaufstüten u. Taschen transportiert werden mussten. Mürrische Heimkehrer von der Arbeit, die Gesichter hinter der BZ versteckt, die abgeschabte Aktentasche, in der alles Erdenkliche außer Akten transportiert wurde, zwischen den Füßen oder auf dem Schoß. Teenager mit betont coolem Blick, hoch erhaben über die Alltäglichkeit der übrigen Passagiere. Eine bunte Mischung aus Nationalitäten und Lebensaltern. Und dann stieg sie zu. Haben Sie schon mal versucht, jemanden zu beschreiben, dessen Anblick Sie auf Anhieb gefangen genommen hat, den sie aber nur ein paar Sekunden lang sehen konnten? Gar nicht so einfach, das können Sie mir glauben. Aber ich will es versuchen. Über Geschmack lässt sich ja trefflich streiten, das Gesicht, das wohl der eine hübsch findet, ist für den anderen nichts sagend. Sie war keinesfalls vergleichbar mit dem Ideal, das uns die Strategen der Werbeagenturen unermüd-lich vorführen. Dennoch, oder gerade deshalb, handelte es sich für mich um das attraktivste Gesicht auf Gottes grüner Erde. Ihr weich gelocktes mahagonifarbenes schöne Haar trug sie mittellang, zwei teerschwarze Kämme bändigten die Frisur über den Schläfen, so dass die makellose Stirn, leicht gebräunt, sichtbar blieb. Die schmalen Augenbrauen beschrieben zwei sanfte Bögen über den klaren, Lebenslust funkelnden Augen, die von einem geheim-nisvollen Blaugrau waren, das an abendlichen Sommerhimmel über friedlich schlummern-dem Meer erinnerte, gesprenkelt mit herbstlaubfarbenen Nuancen. Ihre Nase wuchs gerade und schlank, die Spitze streckte sich keck ein wenig vor. Die Lippen, eindrucksvoll dezent mit einem Hauch von Kastanientönung überzogen, waren voll, ein mehr spürbares als sichtbares Lächeln schien auf diesem Gesicht als Ausdruck des liebenswerten Charakters seine ständige Heimat zu haben. Von den Ohrläppchen glitzerten je drei Kaskaden hauchzarten Silbers zwei Finger breit herab. Eine wundervolle seidene Bluse, die von exakt den gleichen Farbschattierungen war wie ihre Augen, umschmeichelte in lockeren Wellen ihre schlanke Gestalt, dazu trug sie weiße Jeans, an der grazilen Taille mit einem schwarzen ledernen Gürtel gehalten, und Tennisschuhe, deren Nähte wiederum das Spiel der Farben der Bluse aufgriffen. Viel mehr als die physische Ebenmäßigkeit ihrer Züge und ihrer Gestalt jedoch nahm mich das gefangen, was man so gar nicht beschreiben kann. Charisma, sagt der eine, Aura, fügt ein anderer hinzu. Diese unaussprechliche Überzeugung, dem Menschen begegnet zu sein, nach dem man das ganze bisherige Leben lang gesucht hat, ohne es zu wissen. Verstehen Sie das? Ich weiß, mir fehlen adäquate Worte für diese Empfindung, so werden Sie wohl nur begreifen, was mit mir in diesem Moment geschah, wenn Sie die Magie des Zusammen-treffens der beiden füreinander bestimmten Menschen auch schon erlebt haben. Milan Kundera hat einmal gemutmaßt, dass ein ideales Paar ursprünglich als Ganzes geschaffen und dann von widrigem Schicksal getrennt sei, es käme nur darauf an, dass die beiden sich irgendwann treffen und was sie dann aus dieser Begegnung machen. Ich bin seit jenem Tag überzeugt, dass er damit vollkommen Recht hat. Sie stieg zu, zeigte dem Fahrer ihre Monatskarte, schenkte ihm ein Lächeln, das wie ein Sonnenstrahl durch schwere Wolken aufblitzte, und ging an mir vorbei in den hinteren Bereich des Busses. Sie sah mich nicht an, warum sollte sie auch die Passagiere eines öffentlichen Verkehrsmittels mustern, das sie offenbar regelmäßig benutzte, wenn sie keine Bekannten in der Menge vermutete. Wie gesagt, ich konnte dieses Gesicht in der Menge nur wenige Sekunden lang sehen, u. doch ist es meinem Geist in allen Einzelheiten unaus-löschlich gegenwärtig, wann immer ich an diesen Moment zurückdenke. Irgendwo muss sie ausgestiegen sein, bevor ich hier mein Ziel erreichte. Als ich den Gang zum Ausstieg durchschritt, war sie nirgends mehr zu sehen. Nun fragen Sie zu Recht, inwiefern sich denn mein Leben durch diese wenigen Augenblicke geändert haben mag. Das kann ich Ihnen gerne verraten. Ich habe mein Auto verkauft, benutze die öffentlichen Verkehrsmittel, mustere an jeder Haltestelle die Wartenden, vor allem natürlich auf der Linie, die ich damals benutzte. Ich habe abgenommen, von Kleidergröße 52 ausgehend; gestern habe ich einen Anzug nun in Größe 48 erstanden, ich fühle mich gesünder und lebendiger als all die Jahre zuvor. Freunde und Bekannte bestätigen mir, dass ich glücklicher und besser aussehe, als jemals zuvor. Jawohl, ich bin glücklich, denn wir werden uns wieder sehen. Die Begegnung mit dem Gesicht in der Menge ist jetzt sechs Monate her, aber was sind schon 24 Wochen im Vergleich zu den 40 Jahren, die ich gelebt habe, bevor ich sie erstmals sah? Wenn wir füreinander bestimmt sind, und daran besteht für mich kein Zweifel, dann werden sich auch unsere Wege wieder kreuzen. Beim nächsten Mal wird sie, die Unbekannte, die Einzigartige, einen Blick auf mich werfen, und es wird ihr gehen wie mir damals, vor sechs Monaten. Ein weiteres halbes Jahr später werde wir uns zum dritten Mal treffen, und dann werden wir die ersten Worte wechseln, uns kennen lernen, feststellen, dass wir füreinander geschaffen sind und bis zum Ende unserer Tage glücklich sein. Tut mir leid, ich muss jetzt gehen, es ist schon 16:20 Uhr. Sonst verpasse ich meinen Bus. Dass ich mir das nicht leisten kann, werden Sie ja jetzt verstehen.

 

 

 

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57. © The face in the crowd

 

What a defective alternator on the car can be good for. On the one hand, there was now the certainty that the motor vehicle workshop had received a new order, thereby contributing to the company's turnover and thus serving the security of jobs. I also knew that I was also doing my health a service by living my life without a car for two days, using my feet to walk instead of using pedals. Furthermore, by buying tickets for public transport, I helped the Berlin transport companies to get a few euros in the till, which again secured jobs. Was that why the bus driver was smiling so friendly when I got in? Finally, and above all, the defective alternator changed my whole life. Don't you think so? Wait until they know the full story. Perhaps afterwards you would like to leave your car behind, even if all the components are in order. I got on at 4:32 p.m. at Bahnhof Zoo. The bus in the direction of Schöneberg was relatively full. Stressed housewives with tugging and screaming toddlers who wanted to hold their mother's hand the more shopping bags and bags had to be transported. Sullen returnees from work, their faces hidden behind the BZ, the scraped-off briefcase in which everything except files was transported, between the feet or on the lap. Teenagers with a decidedly cool look, elevated above the everyday life of the other passengers. A colorful mixture of nationalities and ages. And then she got on. Have you ever tried to describe someone who caught sight of you but who you could only see for a few seconds? Not that easy, believe me. But I want to try. One can argue about taste, the face, which some people think is pretty, is of no consequence to the other. It was in no way comparable to the ideal that the strategists of the advertising agencies tirelessly demonstrate to us. Nevertheless, or perhaps because of it, it was the most attractive face on God's green earth for me. She wore her soft, curly mahogany-colored, beautiful hair of medium length, two tar-black combs tamed the hairstyle over her temples, so that the flawless forehead, slightly tanned, remained visible. The narrow eyebrows described two gentle arcs over the clear, lust for life, sparkling eyes, which were of a mysterious blue-gray, reminiscent of the evening summer sky over the peacefully slumbering sea, dotted with shades of autumn foliage. Her nose grew straight and slender, the tip protruding a little boldly. The lips, impressively discreetly covered with a touch of chestnut tint, were full, a more palpable than visible smile seemed to have its permanent home on this face as an expression of the lovable character. Three cascades of gossamer silver glittered two fingers wide from each earlobe. A wonderful silk blouse, which was of exactly the same color as her eyes, caressed her slim figure in loose waves, in addition she wore white jeans, held at the graceful waist with a black leather belt, and tennis shoes, the seams of which were in turn the game of Colors of the blouse picked up. Much more than the physical evenness of her features and shape, however, captured me by what cannot be described at all. Charisma, says one, aura, adds another. This inexpressible conviction that you have met the person you have been looking for all your life so far without even knowing it. Do you understand? I know that I am lacking adequate words for this sensation, so you will probably only understand what happened to me at that moment if you have already experienced the magic of the meeting of the two people who are destined for each other. Milan Kundera once speculated that an ideal couple was originally created as a whole and then separated from an adverse fate, it just depends on the two meeting at some point and what they do with this encounter. I have been convinced since that day that he was absolutely right about that. She got in, showed the driver her monthly pass, gave him a smile that flashed like a ray of sunshine through heavy clouds, and walked past me to the back of the bus. She didn't look at me, why should she look at the passengers on a public transport she apparently used regularly when she suspected no acquaintances in the crowd. As I said, I could only see this face in the crowd for a few seconds, and yet it is inextricably present in my mind in every detail whenever I think back to that moment. She must have got off somewhere before I reached my destination. As I walked through the aisle to the exit, she was nowhere to be seen. Now you are right to ask how my life may have changed as a result of these few moments. I can tell you that. I've sold my car, use public transport, and scrutinize the people waiting at every stop, especially of course on the line I used at the time. I've lost weight starting from size 52; yesterday I bought a size 48 suit, I feel healthier and more alive than all the years before. Friends and acquaintances tell me that I look happier and better than ever before. Yes, I am happy because we will see each other again. It has been six months since you met the face in the crowd, but what is 24 weeks compared to the 40 years I lived before I saw her for the first time? If we are made for one another, and I have no doubt of that, then our paths will cross again. Next time she, the unknown, the unique, will take a look at me, and it will be like me six months ago. Another six months later we will meet for the third time, and then we will exchange the first words, get to know each other, find that we are made for one another and will be happy until the end of our days. I'm sorry, I have to go now, it's already 4:20 pm. Otherwise I'll miss my bus. You will understand now that I cannot afford that.