41.  ©Omas Baby

 

Ich sah meine Großmutter wieder. Sie ist schon sehr lange tot, aber verändert hatte sie sich nur bedingt. Ihre ehemals graugrünen Augen waren rot, irgendwie unschön gelb umrandet, das irritierte mich. Ansonsten war sie die mir vertraute alte Hexe mit knöchernen Fingern und kalter Stimme, die in mir nie mehr als ein nutzloses, hässliches Bündel Fleisch gesehen hat. Du bist nichts, du kannst nichts. Und starre nicht auf den Boden, sieh mich gefälligst an. Halte dich aufrecht, Gott, bist du ein Trampel! In meinem Traum, der wohl nicht wirklich ein Traum gewesen ist, starrte sie mich sekundenlang mit ihren tiefroten Augen an und sagte: Du hast dich entwickelt, gut, das ist die reine Linie. Unsere. Wir heißen immer noch von Bittlow. Das verpflichtet. Ich hätte freilich nicht gedacht, dass auch aus dem letzten Abfall meiner Familie etwas wird. Und wenn auch nur ein dummer kleiner Schreiberling dabei herumgekommen ist. Denke an deinen Großvater. Der malte nackte Frauen. Und hat gesoffen. Eine Schande. Wie du. Ich war Anfang Dreißig, immer noch orientierungslos, frisch getrennt von Hajo und neu verliebt in Chris. Beruflich lief es nicht schlecht, aber das Büro in der Havenbeckerstraße war nichts Besonderes, mein Job unterforderte mich. Das ist jetzt nicht anmaßend gemeint, mir war und ist bewusst, wo ich stand und stehe. Und wann die Zeit kommt. Kommen würde. Als ich mich damals bei der Redaktionsleitung gänzlich voll mit Optimismus getankt vorgestellt hatte, hörte ich den Satz, speicherte ihn und fraß ihn in mich hinein: Grundsätzlich sind wir gegen Akademiker. Die machen nur Ärger. Aber wir versuchen es mit Ihnen. Mein Chef, dem ich dann im fensterlosen Raum an der Havenbeckerstraße untergeordnet wurde war scheinheilig nett, ziemlich dumm und auf albern rührende Art schleimig. Mich ließ er in Ruhe, solange ich brav erledigte, was ihm verdammt wichtig war und den Rest der Welt einen Scheiß interessierte. Mich auch. Klar muckte ich auf. Ich wünschte ihm einen künstlichen Darmausgang. Und als er mich bedrängte, einen Roman über eine völlig inhaltslose Science-Fiction-Story für ihn zu schreiben, natürlich unter seinem Namen, sagte ich zu ihm: Einfach Pech, so was nicht selbst zu können. In meinem Kopf erschaffe ich auch Skulpturen, in der Realität weiß ich, das nicht korrekt zu packen. Also, vergessen wir das mal mit Ihrem blöden Roman. Kapierte er nicht, er wurde nur sauer, war beleidigt und drohte mit Abmahnung. Ich nannte ich Hausmeister ohne Hirn. Keine Ahnung, warum genau in diesem Zusammen-hang. Vermutlich aber, weil Hausmeister und Parkwächter sich für so verflucht wichtig halten. Wie meine Großmutter. Sie wollte unbedingt zurückkehren. Sie wünschte sich ein Baby. Für ihre Seele. Die ich nicht liebte. Nie wirklich habe ich lieben können. Meine Oma Leonora hätte sich seit zwanzig Jahren eine Möglichkeit aussuchen können, wieder leben zu können. Aber sie hat geduldig, vermutlich auch zornig gewartet. Sie wollte eine bühnenreife Wiederkehr, schnurstracks retour in die Sacra Familia. Mit meiner Hilfe. Natürlich wusste sie, dass ich schwanger war. Von Christopher, meinem aktuellen Liebhaber. Plötzlich, ungewollt, ungeplant, trotzdem schon im Vorfeld zärtlich angenommen. Zumindest von mir. Meine Großmutter sagte zu mir in diesem Traum, der keiner war: Dein Kind werde ich sein. Hast du verstanden? Mein Geist wird in ihm sein. Und ich werde dich beobachten. Immer. Freue dich schon mal auf mich. Ich mache dir dein Leben zur Hölle, wenn du nicht ordentlich funktionierst. Davor fürchtete ich mich. Zeitlebens war sie streng und hart gewesen, ich wollte sie nicht mehr, wollte schreien: Geh weg von mir, du arrogantes Miststück, hast mich nie gemocht. Dann kündigte ich, der Verlag schätzte keine Aufmüpfigkeit, und mein Chef, dieser prinzipiell inkompetente Vollidiot, suchte permanent nach Fehlern. Ergo konzentriere ich mich auf das Kind, das sich angemeldet hatte, sitze jetzt hier am Fenster, mit einem Bauch, der täglich dicker wird, vermisse tatsächlich den bekloppten Hausmeister, weil er zum normalen, stupiden Allerlei gehört hat und ich ihm gern eine so richtig fett gescheuert hätte. Irgendwann in einer Vergangenheit, die mir eine ganz andere Hoffnung versproch-en hatte. Das Baby strampelt schon kräftig. Ich werde es mit Liebe und Angst begrüßen. Und heimlich weinen. Weil ich noch nicht weiß, wer in ihm steckt. Chris baute verdammten Mist. Unbeabsichtigt. Tragisch für ihn. Er ließ das Einmachglas fallen, zerstörte das Gefängnis, in dem Leonards Geist sich befand und vermutlich vor Wut kochte. Ich hätte es ihm rechtzeitig erzählen können, aber es wäre einfach zu absurd gewesen. Die Vorstellung, dass Leonora in meinem Baby wieder und vor allem weiterlebt, war und ist unerträglich für mich. Sie war so kalt, so abwertend, so gänzlich ohne Gefühl. Zumindest zeigte sie es nie. Ich hatte es geschafft, mit der Hilfe von Frederika Machulski, einer Frau, die sich mit einer Magie auskennt, die ich nicht verstehe und nicht wirklich verstehen will, Leonoras dunkle Seele nun einsperren zu können. Sie steckte in diesem schäbigen Glas, das gut zugeschraubt war. Es stand auf meinem Nachttisch, ich frage mich immer noch, warum ich es nun nicht im Garten eingegraben habe. Vielleicht war der Grund, dass ich weiterhin an die heilige Familie glaubte und Respekt zeigen wollte. Auch vor ihr. Ich bin keine Mörderin. Grundsätzlich nicht. Aber nachdem Chris ja das Einmachglas auf den Boden hatte fallen lassen, musste ich handeln. Leonoras Geist war wieder frei. Frei für mein Baby. Chris schlief, als ich ihm ein letztes Mal die Wangen küsste. Dann schnitt ich ihm die Kehle durch. Es ging ganz schnell. Ich betete zu Gott, dass er, mein treuherzig Geliebter, es sein wird, der zurückkehrt. Im Körper meines Kindes. Immer noch sitze ich am Fenster. Mit einem dicken Bauch, der mir etwas erzählen will. Und ich hoffe, dass Leonora von Bittlow sich etwas anderes suchen muss, weil Chris das Recht in Anspruch nimmt, wieder bei mir zu sein. In der Hand halte ich immer noch das blut-verschmierte Messer. Höre seine Stimme: Warum? Höre ihre Stimme: Du entkommst mir nicht. Das Messer werde ich entsorgen. Vielleicht auch nicht…

 

 

 

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41.   ©Grandma’s baby

 

I saw my grandmother again. She's been dead a long time, but she had only changed to a limited extent. Her formerly gray-green eyes were red, somehow outlined in ugly yellow, that irritated me. Otherwise she was the familiar old witch with bony fingers and a cold voice, who never saw me as more than a useless, ugly bundle of meat. You are nothing, you cannot do anything. And don't stare at the floor, please look at me. Stand up, god, are you a trample! In my dream, which was probably not really a dream, she stared at me for seconds with her deep red eyes and said: You have developed, well, that's the pure line. Our. We're still called von Bittlow. That obliges. Of course, I did not think that my family's last garbage would also become something. Even if only a stupid little scribe got around. Think of your grandfather. He painted naked women. And drank. A shame. Like you. I was in my early thirties, still disoriented, freshly separated from Hajo and newly in love with Chris. Professionally it was not bad, but the office on Havenbeckerstrasse was nothing special, my job was too demanding for me. This is not meant presumptuously, I was and am aware of where I was and where I am. And when the time comes. Would come. When I introduced myself to the editorial board with a full tank of optimism, I heard the sentence, saved it and ate it into myself: We are fundamentally against academics. They just cause trouble. But we'll try you. My boss, to whom I was then subordinated in the windowless room on Havenbeckerstrasse, was hypocritically nice, quite stupid and slimy in a silly, touching way. He left me alone as long as I did what was damn important to him and the rest of the world didn't give a shit. Me too. Of course I gave up. I wished him an artificial anus. And when he urged me to write a novel for him about a completely empty science fiction story, of course under his name, I said to him: Just bad luck not to be able to do that myself. I also create sculptures in my head, but in reality I know that I cannot handle it correctly. So let's forget about your stupid novel. Did he not get it, he just got angry, was offended and threatened with a warning. I called myself a caretaker with no brains. I don't know why exactly in this context. Probably because the caretaker and parking attendant think they are so damn important. Like my grandmother. She really wanted to return. She wanted a baby. For your soul. I didn't love I have never really been able to love. My grandma Leonora could have chosen a way of being able to live again for twenty years. But she waited patiently, probably also angrily. She wanted a stage-ready return, straight back to the Sacra Familia. With my help. Of course she knew I was pregnant. From Christopher, my current lover. Suddenly, unintentionally, unplanned, yet tenderly accepted in advance. At least from me. In this dream, which wasn't one, my grandmother said to me: I will be your child. Do you understand? My spirit will be in him. And I'll watch you Always. Look forward to me. I'll make your life hell if you don't work properly. I was afraid of that. All her life she had been strict and tough, I didn't want her anymore, wanted to scream: Get away from me, you arrogant bitch, you never liked me. Then I quit, the publisher did not appreciate insubordination, and my boss, this fundamentally incompetent idiot, was constantly looking for mistakes. Ergo, I concentrate on the child who had registered, now sitting here at the window, with a stomach that is getting bigger every day, actually miss the stupid caretaker because he belonged to normal, stupid all kinds of things and I really like him would have rubbed fat. At some point in a past that had promised me a very different hope. The baby is already kicking hard. I will greet it with love and fear. And cry secretly. Because I don't yet know who is in him. Chris screwed up hell. Unintentionally. Tragic for him. He dropped the mason jar, destroyed the prison Leonard's ghost was in and presumably boiled with rage. I could have told him in time, but it would have been just too absurd. The idea that Leonora would live on again and above all in my baby was and is unbearable for me. She was so cold, so pejorative, so completely devoid of emotion. At least she never showed it. With the help of Frederika Machulski, a woman who is familiar with a kind of magic that I don't understand and don't really want to understand, I managed to lock up Leonora's dark soul. It was in that shabby glass that was screwed shut tightly. It was on my bedside table, I still wonder why I haven't buried it in the garden now. Perhaps that was because I wanted to keep believing in the holy family and wanting to show respect. Also in front of her. I am not a murderer. Basically not. But after Chris dropped the mason jar on the floor, I had to act. Leonora's mind was free again. Free for my baby Chris was asleep when I kissed his cheek one last time. Then I cut his throat. It happened very quickly. I prayed to God that it would be He, my sincere Beloved, who would return. In my child's body. I'm still sitting by the window. With a big belly that wants to tell me something. And I hope that Leonora von Bittlow will have to look for something else because Chris is claiming the right to be with me again. I'm still holding the blood-smeared knife in my hand. Hear his voice: Why? Hear her voice: You will not escape me. I will dispose of the knife. Maybe not…